Daten essen Seele auf

Vor einiger Zeit habe ich aufgehört mein Jogging zu tracken. Es war mir zuwider geworden – und zwar nicht nur das ‘auf Facebook posten’, sondern auch einfach das Tracken an sich. Weil es etwas mit einem macht, mit dem Erlebnis des Laufens in dem Fall. Man läuft anders, beobachteter, kompetitiver, mit mehr Normgewalt im Nacken. So war zumindest mein Gefühl. Als ich den Tracker ausstellte, fühlte es sich natürlich erstmal seltsam an, fast wie ein verschwendeter, kaum realer Lauf. Aber es war eben auch anders, mehr bei mir, unzerteilter, analoger*.
Ich komme deshalb darauf, weil ich heute nochmal Bruce Sterlings düsteren Essay zum Internet of Things las, und wie es seiner Meinung nach unseren Alltag unter die Gewalt der Tracking-Konzerne bringen wird. Sterling beschreibt den Einzug von Devices, die mit dem Internet verbunden sind als Einzug einer Überwachungs-Infrastruktur, die vor allem darauf abzielt die Ownership über Dinge zu übernehmen, die bisher uns gehörten – wie zum Beispiel unser Haus, unser Kühlschrank, unser Badezimmerspiegel.
Und es ist ja nicht ganz von der Hand zu weisen, dass Google z.B. mit dem Kauf von Nest darauf abzielt, die Datenhoheit in den Wohnzimmern zu erlangen. So wirbt der Nest-Thermostat z.B. mit einem Auto-Away Modus, der permanent trackt, ob jemand zuhause ist um dann ggf. die Heizung runterzuregeln. Tolles Feature. Aber auch zweifellos tolle Überwachung.
Auch an anderer Stelle in diesem Blog habe ich mich schonmal damit beschäftigt, ob Daten allein schon durch ihre Existenz/Erhebung einen bestimmten Effekt haben können, z.B. einen der auf Ent-Solidarisierung zielt (auch z.B. durch unmerkliche Aushebelung des öffentlichen Raums und des Streikrechts). Der Soziologie-Professor Selke hat ein ganzes Buch darüber geschrieben, wie mit Quantified Self und Body-Trackern eine neue Art der sozialen Stigmatisierung geschaffen wird…
Auf der anderen Seite bin ich bekennender Daten-Afficionado und glaube tatsächlich an viele positive Effekte davon und die Innovationskraft aus datengetriebenen Geschäftsmodellen. Und mal ehrlich, ich finde es auch einfach geil, wenn Sachen plötzlich ein Logfile schreiben, die vorher nur blöd herumstanden, wie z.B. mein Vorgarten (Feuchtigkeits-Sensor) oder die Türklingel, und natürlich die Heizung.
Aber ist das nur Selbst-Verblendung? Haben Daten eine Zerstörungsdynamik, die notwendigerweise zu Kontrolle, Aufgabe von Solidarität und Vereinzelung führt? Ist Tracking grundsätzlich gleichzusetzen mit Beobachtung und damit Fremdbestimmung und Eingriff? Ist keine rhetorische Fragensammlung, bin mir da wirklich nicht sicher.
Dennoch glaube ich: wir müssen zumindest versuchen an Modellen zu arbeiten, wie freundliche, solidarische, demokratische und allgemein gute Gesellschaften funktionieren können bei ständiger Daten-Erhebung. Vielleicht durch punktuelle Einschränkung der Datensammlung, ein Recht auf Nicht-Erscheinen, analog sein und Verdunkelung – warum nicht? Oder durch Nicht-Zugriffsrechte für bestimmte Entitäten wie z.B. Krankenversicherungen, Arbeitgeber usw.
Schöner fände ich es aber noch, wenn wir Modelle fänden, die Solidarität in Daten modellieren und auf einen neuen Level bringen, also nicht als Abwehrkampf, sondern als Nutzung der positiven disruptiven Kräfte die der Digitalisierung innewohnen. Wer je auf twitter Freundschaften geschlossen hat, weiss was ich meine, aber es gibt auch zahllose andere Beispiele dafür, dass Digitalisierung neue Solidarität stiften kann, mehr Offenheit und neue Formen der Kontrolle _von unten_. Daran muss noch mehr gearbeitet werden.
Was mich aber noch beschäftigt bei meinem persönlichen getracked-werden: ich habe das Gefühl, dass es durchaus technische Determinanten des Unwohlseins mit dem Tracking gibt, und zwar: Mein Laufen habe ich derzeit mit Runtastic getracked. Wurde nach Abschluss eines Laufes hochgeladen und man konnte per Kontrollkästchen entscheiden, ob es auf Facebook geshared werden soll, oder nicht. Ich fand das unangenehm, allein schon durch das nackte Tracken.
Auf der anderen Seite habe ich mein ganzes Haus verwanzt, jeder Heizungsthermostat schreibt Logfiles, viele Lichtschalter ebenso, die Fussbodenheizung, die Jalousien, die Hasenstallheizung usw. – da werden Tonnen von Daten generiert, und können jederzeit ausgewertet werden. Und das sind ziemlich nahe und private Daten, man sieht wann jemand badet, wann es in welchem Raum wärmer wurde usw. – komischerweise stört mich das überhaupt nicht, kein bisschen. Obwohl es ja auch mein analoges trautes Privaträumchen digital zerteilt und analysierbar macht und in Big-Data verwandelt. Aber: es wird nirgends hochgeladen, sondern müllt nur eine kleine SD-Karte auf dem Raspberry im Keller zu.
Ist es das? Die Cloud? Der potentielle Zugriff durch Fremde?
Falls ja – was würde sich ändern, wenn die Daten verschlüsselt wären und nur durch meine explizite Zustimmung von dritten analysiert werden dürften? Was wenn es meine eigene Cloud wäre? Oder was, wenn es Open-Data wäre?
Ist es wirklich so, dass die Gestaltung von Daten-Ownership und das Spielen mit den Kontrollhebeln für Transparenz und Kontrolle darüber entscheiden, ob ich die Privat-Digitalisierung creepy oder nützich (oder auch ‘egal’) empfinde?

—— Nachtrag —-
Meine Frau sitzt gerade im Krankenhaus mit Verdacht auf Lungenentzündung. War mit Baby bei Ihr, damit sie stillen konnte. Krankenhäuser sind furchtbare Orte der Heteronomie, der ganze Ablauf ist irgendwie auf Entzug von Autonomie und “Maul halten und warten” ausgelegt, sinnlos irgendwo rumsitzen, warten auf Leute die nicht kommen, undurchschaubare Prozesse und generell natürlich nach Innen ein Machtapparat wie sonst nur im Mittelalter zu finden (sprecht mal mit Leuten, die dort arbeiten). However – sie hat aber natürlich ihr Smartphone dabei. Damit ist sie mit unseren Freunden auf Mallorca in Verbindung während der Untersuchung (von da sind wir wegen der Krankheit gerade abgereist), mit ihrer Mutter, mit mir, mit Freunden auf twitter und whatsapp, zusätzlich besorge ich ihr immer wieder auf Zuruf Hintergrund-Infos zu Sachen die die Ärzte gesagt haben oder was sie auch nicht beantworten konnten (z.B. Röntgen in der Stillzeit). Wenn mir nochmal jemand erzählen will, dass wir immer nur auf “diese Dinger” starren, weil Konzerne uns abhängig machen wollen und weil wir das richtige Leben nicht aushalten oder so – das “richtige Leben” für meine Frau in dieser Situation wäre dröge rumhängen und ausgeliefert sein, ausserdem Einsamkeit. Mit Handy kann sie selbstbestimmt agieren mit ihren Liebsten Menschen virtuell um sie versammelt, sei es auch nur als aufmunternde Mention auf twitter. Ich würde gerne verstehen, wie man solche Effekte der Digitalisierung stärken kann und schädigende eingrenzen, darum ging es eigentlich oben…

—— Nachtrag Ende —-

*lese übrigens deswegen auch nicht mehr mit dem kindle seit längerem. Zu viel Beobachtung.

Category: IoT, Netzpolitik 6 comments »

6 Responses to “Daten essen Seele auf”

  1. Jens Arne Männig

    Na klar: Man verhält sich anders, wenn man trackt. Schließlich hat man immer die Leistung im Hinterkopf, die Daten vom letzten Mal, den Gedanken, ob man nicht die Zeit für die Strecke oder Runde vom letzten Mal nicht noch übertreffen könnte. Ist der Tracker aus, dann schlendert man eben auch einmal, schaut, entdeckt, verweilt und lernt. Kurz: Die Lebensqualität steigt. Diese Erkenntnis hat bei mir dazu geführt, dass ich vielleicht 25 bis 30 Prozent meiner Strecken (hier meist mit dem Fahrrad oder Spaziergänge und Wanderungen mit den Ponys) tracke. Eben dann, wenn ich Lust auf Leistung habe oder ganz pragmatisch Strecken vergleichen möchte.

    Allerdings werden meine Tracking-Files – genau wie bei dir die Werte der Haustechnik – normalerweise auch nicht in die Cloud hochgeladen oder gar publiziert. Als skeptischer gelernter Direktmarketer habe ich mich da von Anfang an auf Apps und Tools konzentriert, die eine lokale Auswertung, das Hochladen auf eigene Server und das individuelle Teilen im Einzelfall erlauben. Pado für iOS ist für mich mittlerweile die eierlegende Wollmilchsau für solche Aufgaben – bis hin zur automatisierten Zeiterfassung.

    Lösungen wie Nest zur Heizungssteuerung sind für uns ohnehin keine Option. Unsere Wohnräume (Baujahr 1732 ff.) sind ofenbeheizt, und leider trägt uns nun mal kein Datendienst der Welt das Holz bei Bedarf rein. Aber auch bei cloudbasierten Systemen wie den Netatmo-Wetterstationen bin ich vorsichtig. Schaltet der Betreiber eines Tages seinen Server ab, dann steht schlicht ein Haufen teurer Elektroschrott in Haus und Garten herum. Leider habe ich in den 23 Jahren, in denen ich mich intensiver mit dem Internet auseinandersetze, schon zu viele ehedem als unverzichtbar erachtete Services und Industriestandards wieder verschwinden sehen.

  2. Falko

    Also bei mir läuft der Tracker immer. Ich hab eine App “Moves” genannt auf meinem Telefon welches Bewegungen des ganzen Tages aufzeichnet. Beim Laufen und Radfahren tracke ich explizit mit Runtastic. Manchmal teile ich die Daten live oder hinterher auf sozialen Netzwerken. Immer werden die Daten in die Runtastic Webseite hochgeladen.
    Mich stört das tracken nicht und ich fühle mich dadurch auch nicht “beobachtet”. Oft schaue ich mir die getrackten Daten nicht einmal an, sondern lade sie nur hoch.
    Warum ich das überhaupt mache, ist um später mal eine Statistik über einen längeren Zeitraum zu bekommen. Wieviele Kilometer bin ich in diesem Monat gelaufen, oder in diesem Jahr? Dabei interessieren mich individuelle Sessions gar nicht so sehr.
    Das spannende an Daten ist ja, dass man vorher meistens gar nicht weiss wofür man diese verwenden/gebrauchen möchte. Daten nachträglich zu erheben geht ja meistens eher schwierig. Daher schreibe ich eher zu viel mit, als zu wenig.
    Die Daten nur auf eigener Infrastruktur zu speichern finde ich auch zu gefährlich. Datensysteme zu sichern ist ein nicht unerheblicher Aufwand. Diesen möchte ich explizit nicht selbst betreiben und traue den Diensten in der Cloud da mehr zu als mir selbst.

    Spannend find ich aber die Frage warum Du Dich unwohl fühlst bei dem ganze Tracken. Das klingt für mich nach einer Aufgabe für den Psychologen (nicht negativ gemeint, sondern als Erkenntnisgewinn weil das ja offenbar mehr Menschen als nur Dich betrifft)

  3. Lore

    Diesen Satz von Falko “Das spannende an Daten ist ja, dass man vorher meistens gar nicht weiss wofür man diese verwenden/gebrauchen möchte.” sollten wir uns sehr genau ansehen.
    So wie Menschen, die “alles” tracken nicht genau wissen (können) was evtl. zukünftig von Interesse sein könnte, geht es auch (Geheim)Diensten, Unternehmen etc. Erst mal alles sammeln und dann gehen wir an die Auswertung. Aber wer wertet in einigen Jahren die Daten zu welchem Zweck aus?
    Immer zu zum Guten? wer bestimmt was gut ist?
    Wenn der Krankenkassenbeitrag an gelaufenen Kilometern angepasst wird, wo bleibt dann der Sinn der Versicherung? Wenn die Kfz-Versicherung das Fahrverhalten analysiert? Wenn der Arbeitgeber beides analysiert?
    Schöne neue Welt!
    Das Datensammeln sollte jedem selbst überlassen werden, aber die Auswertungen müssen begrenzt werden. Dann würde ich auch gelaufene Kilometer und Bewegungsdaten sammeln (zur Vorsicht doch nur auf dem eingene geschützten Rechner :-))

  4. Katrin

    Was Falko sagt: Das Unwohlsein hat für mich vor allem damit zu tun, dass das Tracking beim Laufen auf Selbstoptimierung ausgelegt ist. Zack, wird es normativ – oder, wie sie in diesem schönen Feature sagen: “Daten übersetzen Erwartungen in Handlungsanweisungen.” (http://www.swr.de/swr2/programm/sendungen/feature/swr2-feature-am-sonntag-mein-grosser-bruder-bin-ich/-/id=659934/did=16073994/nid=659934/12blkhe/index.html)

    Wie schön dagegen, nicht zur Optimierung, sondern aus rein informativen Gründen zu tracken – oder zu trackeln…

  5. Bob

    “dröge rumhängen und ausgeliefert sein, ausserdem Einsamkeit”

    Da sprichst du etwas wahres aus, all das (und natürlich noch viel mehr) gibt es mit Handy am Körper nicht mehr. Und ich sehe das als Verlust, denn auch diese Zustände sind wertvoll und wollen erlebt und ausgekostet werden.

  6. ปั้มไลค์

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