Archive for January 2016


Muss das Baby wissen, wie man Kaffee macht?

January 24th, 2016 — 2:16pm

Heute morgen habe ich mit dem Baby auf dem Arm Kaffee gemacht. Sie ist jetzt 8 Monate alt, und ich hab ihr bei jedem Schritt erklärt, was ich da genau mache. Dabei dachte ich: werden wir je herausfinden, ob es was gebracht hat? Also ob man mit Kindern so früh schon sprechen und ihnen Sachen erklären sollte*?
Nun habe ich ja selbst Psychologie studiert, und kenne demnach die Instrumente, mit denen man solche Fragen wissenschaftlich zu beantworten versucht. Und ich muss auch sagen – die kognitive Entwicklung von (Klein-)Kindern gehörte zu den faszinierendsten Dingen, die ich in der Zeit gelernt habe. Nur – es ist ausserordentlich schwierig, da überhaupt zu validen Ergebnissen zu kommen, vieles wurde in Feldforschung (also nicht ausreichend standardisiert, um Effekte genau zuordnen zu können, zu geringe Fallzahlen) und in Einzelfallbeobachtungen erforscht, der berühmte Kinder-Psychologe Jean Piaget z.b. machte seine wichtigsten Erkenntnisse durch Beobachtung seiner eigenen Kinder.
Das ist ganz ok, aber aus forscherischer Perspektive weit von optimal entfernt. Idealerweise würde man nämlich viele Kinder in ihrer natürlichen Umgebung möglichst genau, möglichst lange (Jahre!), möglichst unbeeinflusst beobachten können – dann wäre evtl. sogar möglich zu beantworten, ob es was bringt mit Babys schon zu plaudern**. Gegen solche Untersuchungsdesigns gibt es viele Einwände, vor allem scheitern sie üblicherweise aus praktischen und ethischen Gründen.
Allerdings könnte sich das in den nächsten 20 Jahren drastisch ändern. Denn in einigen Jahren wird es relativ normal sein, dass ein Haus/eine Wohnung umfassend vernetzt ist. Sensoren in den Wänden, an diversen Maschinen, an unserer Kleidung werden permanent aufzeichnen was so passiert, und vermutlich wird uns irgendwas auch ständig beobachten und belauschen, um ggf. auf die “Fritzi, kannst Du mal bitte…” Frage anzuspringen, und mal eben neue Milch zu bestellen. Bruce Sterling hat dieses Szenario, wo der ganze Raum uns herum zum Interface wird übrigens in einem Vortrag zu Augmented Reality 2013 schon geschildert – und zwar anhand des Leap-Motion Controllers, der in einem bestimmten Bereich recht genau Bewegungen der Hand aufzeichnen kann – mit Microsoft Kinect kann heute bereits ein ganzer Raum in ähnlicher Weise permanent gescannt werden… Die Daten aus diesen Sensor-Arrays werden in einer Cloud von sehr effizienten Algorithmen analysiert – eine Ahnung vermitteln da vielleicht die aktuellen Verfahren, wie sie z.B. in Google Photos eingebaut sind, also Algorithmen (sog. deep learning Netze), die unterschiedlichste Muster in Bildmaterial erkennen, und zuordnen können. Diese intelligente Schicht wird mich dann also beobachten und aufzeichnen, dass ich mit meinem Kind geredet habe, und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch verstehen, was ich gesagt habe. Ausserdem wird sie verstehen, dass ich dabei vor einer Kaffeemaschine stand. So geht es weiter, und das System, nennen wir es mal “Google everywhere”, wird natürlich auch mitbekommen, wann mein Baby die erste Worte sagen wird usw.
Später dann wird es sich mit dem Daten-Hub der Grundschule vernetzen, und auch dort Lernleistungen überwachen und den Lehrern bei der Potential- und Lückenanalyse helfen und vermutlich auch individuelle Inhalte vorschlagen, oder direkt dem Kind anbieten. Übrigens ist auch diese Idee des hochindividuellen Lernen bereits heute in guten Schulen Realität, nur halt noch ohne Daten-Unterstützung.
Also – sobald dieses System hochgefahren ist, wird es tatsächlich möglich sein – zumindest korrelativ – den Einfluss von bestimmten Verhaltensweisen der Eltern auf die kognitive oder sonstige Entwicklung des Kindes zu ermitteln. Durch die hohen Fallzahlen und die ziemlich optimale Erhebungs-Situation (keine Versuchsleiter, kein Labor, keine nachgestellten Situationen etc.) wäre es dann vermutlich mit neueren statistischen Verfahren sogar möglich, recht verlässliche Kausalattributionen vorzunehmen, also wirklich zu sagen: es bringt was mit Babys zu reden. Vielleicht läuft bis dahin aber eh irgendsoein Roboter ganz selbstvertändlich im Haushalt mit, der immer auf Basis aktuellster Erkenntnisse aus der Daten-Cloud auf das Baby einplappert, auch ok.

*dass es für die Bindung und die emotionale Reifung etwas bringt ist klar, das ist auch schon ausreichend gut erforscht. Mir gehts hier vor allem um die sprachlich-kognitive Entwicklung
**streng genommen wären “experimentelle Settings” ideal, also zufällige Einteilung von Kindern in Treatment-Gruppen und mit der einen Gruppe wird geredet, mit der anderen nicht und eine dritte bekommt nur Unsinn erzählt. Das ist nur aus ethischen Gründen nicht durchführbar.

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Danke, Apple

January 12th, 2016 — 11:13pm

Meine 8-jährige Tochter ist jetzt Filmproduzentin. Genaugenommen dreht sie derzeit mit einer Freundin ihren zweiten Film, mit Storyboard, verschiedenen Szenen und Einstellungen, Sound-Untermalung, und es gibt auch einen Trailer dazu. Alles mit ihrem iPod, den es zu Weihnachten gab, ohne jegliche Unterstützung durch uns. Sie hat einfach iMovie runtergeladen, und es sich selbst beigebracht.
Drearbeiten
Mir ist klar, dass an Apples Ansatz der Kapselung von Computer-Funktionalität gerade im Bildungskontext einiges zu kritisieren ist – zu Recht. Aber es kann auch nicht geleugnet werden, wie unglaublich viel diese Firma dafür getan hat, dass Computer so viel zugänglicher geworden sind in den letzten 10 Jahren. Erinnert sich irgendwer noch, wie man früher Zusatzanwendungen auf Mobiltelefonen installieren konnte? (ja, das ging). Was es vor wenigen Jahren noch bedeutet hätte, einen Film zu produzieren, zu schneiden und mit Musik zu unterlegen? Und dann so zu konvertieren, dass andere es problemlos ansehen können? (ihren ersten Film durfte sie sogar in einer Sonder-Stunde in der Schule zeigen)
Oder die ganze Touch und Gestenbedienung – würden heute 9 von 10 Leuten in der U-Bahn in ihr Device starren, wenn es das nicht geben hätte? Ich glaube nicht. Nicht nur, weil es aus Usability-Gesichtspunkten innovativ war – ich glaube, die Touchbedienung hat die Geräte ‘magic’ gemacht, und erstmals eine lustvolle und selbst für blutige AnfängerInnen einleuchtende Bedienung eingeführt.
Und vielleicht ist es ja sogar nur der Anfang. Das Apple-Auto steht vor der Tür. Mit dem Internet of Things werden digitale Schnittstellen in immer mehr Alltagsbereichen zum Standard werden – vom Gesundheitssystem, über Bildung bis zur Steuerung von Heizung und Licht werden wir eine Neudefinition der Art und Weise erleben, wie wir mit unserer Umwelt interagieren. Und wer schonmal versucht hat das Steuergerät der Heizung umzuprogrammieren, oder den piependen Rauchmelder von der Decke zu schlagen, wird mir zustimmen, wenn ich diesem Wandel mit großer Freude entgegensehe – wohlwissend, dass es auch schwierige Schattenseiten haben wird am Ende.

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Algorithms welcome

January 4th, 2016 — 11:25pm

Für die Weihnachtsferien hatte ich mir vorgenommen, endlich mal unser Bilder-Chaos in Ordnung zu bringen – also die mutmasslich tausenden von Digital-Fotos auf unterschiedlichsten Devices sicher abzulegen, und mit Redundanz auszustatten. Hatte ich mir übrigens auch letztes Jahr schon vorgenommen, und davor auch schon. Diesmal hat es geklappt, genaugenommen bin ich seit 3 Tagen und Nächten noch dabei, die annähernd 100.000 Fotos (kein Witz) auf 6 unterschiedlichen Laptops und aus anderen Online-Quellen zusammenzutragen, auf ein lokales NAS zu speichern, aber zugleich auch auf einen Cloud-Service, konkret Google Photos.
Ein bisschen hatte ich auch Angst vor dieser Aktion, nicht nur wegen dem vermuteten Zeitaufwand und dem Horror vor uralten Laptops und den Untiefen der Verzeichnissysteme, sowie dem Knacken bescheuerter Apple-Beschränkungen, um an die echten Files dranzukommen. Der Horror hatte auch noch eine tiefere Quelle, nämlich weil es so ein unüberwindbares Chaos zu sein schien. Hatte zwar nur mit etwa 20-30k Bildern gerechnet, aber wie sollte man in diese irgendeine Art von Ordnung und Struktur reinbringen, so dass das neue Archiv auch überhaupt irgendeinen Sinn machen würde?
Für mich ist das auch ein gutes Sinnbild des Digitalen, oder der “Digitalisierung”, wie man es jetzt so gerne nennt. Es explodiert förmlich, nicht nur weil irgendwelche Firmen es so wollen, sondern auch und vielleicht vor allem weil wir die neuen Möglichkeiten explosionsartig mehr nutzen. Man fotografiert anders heute – gleichzeitig entziehen sich die anfallenden Artefakte aber den klassischen Ordnungsprinzipien der analogen Welt immer mehr. Erst haben wir aufgegeben, Fotoalben zu machen. Dann haben wir aufgegeben, die abgespeicherten Bilder zu benennen (ist wirklich so, Bilder aus 2007 haben häufig noch sprechende Datei-Namen). Dann haben wir aufgegeben, eine bestimmte Ordner-Struktur dafür anzulegen, und zu pflegen (ungefähr ab 2009) – geholfen haben dabei aufkommende Universal-Suchmaschinen für lokale Dateien, die Ordner-Strukturen gestrig aussehen liessen. Und jetzt stehe ich hier vor einem Berg von 100.000 Fotos aus Urlauben, Kindergeburtstagen, Selfies, Besuchskindern, Geburten, Weihnachten vor und zurück, Skiurlaube, Strandurlaube…
Kuratieren wäre eine Möglichkeit, einfach mal aus dem Berg die schönsten 500 Fotos raussuchen, dabei wichtige Ereignisse nicht vergessen usw. – puh. Und dann ab jetzt schön aktuell halten.
Kurz hatte ich auch überlegt, mit viel Mühe wieder eine Ordner-Struktur einzuziehen, mit bisschen grep-Unterstützung. Verworfen.
Doch dann meldete sich Google zum ersten mal mit einem kleinen roten Sternchen im Reiter “Assistent”. Eine Reihe von Animationen und kleinen Filmchen sowie diverse Collagen aus allen hochgeladenen Bildern lag zur Ansicht bereit. Oh. Erstmal mit spitzen Fingern angesehen und…positiv überrascht. Meine Frau dazugerufen, und uns amüsiert über ein paar Beispiele – etwa 70% der Vorschläge speicherten wir gleich permanent ab. Dann kamen weitere Vorschläge rein. Zwei davon verschickten wir alten Freunden, mit denen wir vor Jahren im Urlaub waren*. Mehrere zeigte ich der Großmama, als sie heute kurz zum Kaffee reinkam. Und es kommen weitere.
Dann wollte ich mal kurz die Suche ausprobieren. Der Startbildschirm der Suche überraschte mich mit zig Kacheln, die Fotos thematisch gruppierten, der erste Block nach Orten – ok, das war zu erwarten. Doch der zweite Block hatte als Sortierungen Kategorien wie “Weihnachten”, “Berge”, “Strand”, “Sonnenuntergang”, “Motorräder” usw. zur Verfügung. Ziemlich spektaktulär, insbs. auch da ich erst vor wenigen Tagen den grossartigen CRE-Podcast zum Thema “deep learning” gehört hatte, in dem es genau um diese Technik ging.

google_photos

Unnötig zu sagen, dass Google kleine Helper für jede Art von Device anbietet, die automatisch neue Bilder reinsaugt, und die Kategorien selbstlernend sind, und ausserdem ständig wieder so nette kleine Nachrichten eintrudeln, dass wieder neue Vorschläge des Assistenten vorliegen…
Ach, und natürlich Face-Recognition! Die ist zwar in Europa per default abgeschaltet, aber ein kleiner VPN-Tunnel Trick genügt, und schon ist auch dieses Feature aktiv. Super praktisch und erstaunlich treffsicher.
Google kann jetzt also für mich beantworten, wann meine Tochter einen Strandurlaub hatte, und bei welchem Weihnachtsfest meine Mutter dabei war. Nur für mich? Ok, das war jetzt bemüht reingearbeitet, stimmts? Weil diese Creepieness sich meiner Ansicht nach hier gar nicht so aufdrängt, es ist einfach super-praktisch und wirklich ziemlich magic, was die Algorithmen da so für mich tun. Und dennoch _ist_ es verdammt creepy…
Also stelle ich mir diese Frage:
Kann es sein, dass wir mit der Digitalisierung tatsächlich unausweichlich unsere Belastungsgrenze in Sachen Creepieness verschieben werden? Es schon lang tun? Dass Digitalisierung überdies gar nicht anders geht, als mit der Hilfe von Algorithmen? Wir das vielleicht bald schon stinknormal finden werden, genauso wie es uns komisch vorkäme, eine viel befahrene Kreuzung mit was anderem als Ampeln zu regeln? Und, falls die Antwort ja sein sollte – für das Gefühl des Ausgeliefertseins gegenüber den Algorithmen wäre das schon harter Stoff, wenn es bald schon gar nicht mehr denkbar ist, ohne sie voranzukommen. Also praktisch der Tag, an dem BMW das erste Modell rausbringt, das den Knopf für spontanes “self driving” nicht mehr enthält…
Und rational – für die Diskussion um Regulierung von Algorithmen und Datenschutz im Zeitalter von Big-Data hätte es auch gravierende Konsequenzen wenn man tatsächlich von einem “neuen Spiel” sprechen müsste und nicht von einer graduellen Anpassung der Spielregeln.
Ich bin allerdings nicht sicher – schon alleine weil dieses Narrativ von einigen Playern auf dem Spielfeld zu sehr gewollt daherkommt. Und auch weil es deutliche Anzeichnen für negative Seiteneffekte der Digitalisierung jetzt schon gibt. Aber ich bin mir auch nicht sicher, ob es nicht gruseliger wäre, dieser Konsequenz der Digitalisierung mit einer Ignoranz gegenüber dem Ausmaß der tatsächlichen Effekte zu begegnen.

*ein Kommentar dazu war übrigens “wusste gar nicht, dass es dieses Material überhaupt gab”. Gab es auch nicht, denn der verschickte Kurzfilm war von Google selbstgesteuert aus einer Reihe von normalen Fotos zusammengesetzt und mit Musik unterlegt worden…

4 comments » | Netzpolitik, Politik

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