Warum eben doch alle programmieren lernen sollten – und was “alle” dabei genau heisst.
Natürlich müssen nicht alle jetzt programmieren lernen. Leute, die das so oder in ähnlicher Weise kolportieren haben aber auch nur wenig von dieser Diskussion verstanden. Fairerweise muss ich zugeben, dass ich auch lange von dieser immer wieder vorgetragenen Forderung genervt war, aber mittlerweile hat sich das geändert – aus mehreren Gründen.
Der Einwand stimmt zunächst auf der banalsten Ebene nicht, denn kaum jemand fordert überhaupt ernsthaft SchülerInnen landauf, landab sollten jetzt per default Programmieren lernen – einfach um des Programmierens willen. Oder weil so viele ProgrammiererInnen benötigt werden (von der bösen I N D U S T R I E !!!).
Alle Bildungsleute, die das irgendwie fordern, meinen üblicherweise etwas anderes, und es ist schlicht Unsinn, die Forderung auf dieser Ebene aushebeln zu wollen (sorry Sascha).
Oft wird die Forderung auch eingebettet in das Konzept der “digital literacy” oder eben in eine weitere Konzeption rund um ein Schulfach “Computer Science” oder “Digitalkunde” oder eben auch einfach “Informatik”.
Programmieren hat in dem Zusammenhang eine Reihe von Funktionen, von denen ich einfach mal zwei hervorheben will.
Zum einen dringt man mit dem Programmieren am schnellsten dorthin vor, wo die digitale Revolution/Transformation zusammengehalten wird – beim Code. Egal ober der nun “law” ist oder einfach nur Normen der alten Welt ersetzt, wenn z.b. Roboter oder KI-Systeme programmiert werden. Um beurteilen zu können, ob ein Pre-Crime Algorithmus rassistisch agiert oder ein Service-Roboter nach ethnischen Kriterien Tee ausschenkt, ist es einfach hilfreich erstmal im Kern zu verstehen, wie diese funktionieren. Also dass dort Code zum Einsatz kommt. Dass dieser von Menschen (zumindest bis heute) geschrieben wurde. Dass dem bestimmte Modellierungs-Schritte zugrundeliegen, und dabei auch viele Annahmen und Mikro-Entscheidungen eingebaut wurden. All das lernt man eben, wenn man kleine Sachen selbst programmiert am besten. Also z.B. einen Mathe-Trainer, der auf Sprache reagiert und Süssigkeiten für richtige Lösungen ausgibt*. Programmieren lernen heisst in dem Zusammenhang ein Verständnis für den Code zu vermitteln – und zwar den kulturellen, den Meta-Code sozusagen, also die Art wie soziale Zusammenhänge dort einfliessen und welche Entscheidungen dabei prä-modelliert werden. In den Tee-Roboter kann man/frau dann z.B. einfach mal reinschauen und prüfen, welche Datenquellen er heranzieht. Oder ihn experimentell untersuchen – weil man eine gute Idee hat, wie das Ding vermutlich intern funktioniert. Oder man kann schauen, ob das Ding Open-Source ist – vielleicht weil man in der Schule mit Open-Source Materialien gross geworden ist und eben das Konzept von klein an eingeatmet hat, dass häufig ein Code irgendwo drin werkelt und es spannend sein kann, sich diesen mal anzusehen. Ich glaube wirklich, dass das für zukünftige Generationen genau das gleiche sein wird, wie in unserer Schulzeit Botschaften von Print-Medien im Deutsch-Unterricht dekodiert (sic!) wurden oder eben Collagen aus Werbe-Sprüchen in Kunst erstellt werden mussten.
Die Forderung Programmieren zu lernen hat in dem Zusammenhang also praktisch gar nichts mit dem Heranziehen von ProgrammiererInnen zu tun – sondern vielmehr mit der Grundausbildung von sourveränen TeilnehmerInnen einer zukünftigen Zivilgesellschaft, die sehr viel stärker noch als heute von Code geprägt sein wird. Und wir sollten uns klar machen, dass Kinder, die heute eingeschult werden am Ende Ihrer Schulzeit in eine Welt starten werden, die in krasser Weise von digitaler Technik durchwirkt sein wird – was also heute wie die Spezialbeschäftigung mit einem Randthema erscheint, wird mit einiger Wahrscheinlichkeit in 15 Jahren eine ganz andere Dimension haben – einfach weil z.B. alles immer und überall von Sensoren und Code und Kameras und Algorithmen umgeben sein wird, und verdammt viel davon abhängen wird, wie souverän man/frau sich darin bewegen kann.
Der zweite Aspekt der Programmieren im Zusammenhang mit Digitalerziehung so wichtig macht, ist die Motivation. Es macht Kindern (und Erwachsenen natürlich auch) einfach unglaublich viel Spass, das Ruder in die Hand zu nehmen und wirklich was zu programmieren. Die Erfolgserlebnisse des ersten lauffähigen Programmes kann meist jede/r erinnern, der/die das schonmal erfahren hat**. Und es ist immer wieder inspirierend SchülerInnen dabei zu beobachten, wenn ihnen das erstmals gelingt, oder wenn sie später ihre erste knackigere Aufgabe selbst gelöst haben. Programmieren ist die tollste Art, sich mit dem Digitalen auseinanderzusetzen, viel toller als jede Art von Medienerziehung und Auflisten von Gefahren aus dem Internet usw. Das mag sich zwar nach einer Banalität anhören – für die pädagogische Frage wie man Kinder fit fürs digitale Zeitalter machen kann ist das aber von grosser Bedeutung – denn mit dem Programmieren haben wir offenbar einen Schlüssel, um an viel Motivation ranzukommen, gleichzeitig entstehen viele Momente der Selbstwirksamkeit – meiner Ansicht nach eine der schönsten Sachen, die Bildung und Schule hervorbringen können.
Zusammengefasst: Programmieren ist wichtig, weil es mit viel Spass und Selbstmotivation einen tiefen Zugang zur digitalen Sphäre ermöglicht.
Und jetzt noch zu Frage warum “alle”, bzw. was das genau bedeutet im Zusammenhang mit einem Bildungs-System. Denn interessanterweise wird dieses “alle” immer wieder sehr schnell infrage gestellt, zuletzt z.B. im gerade ausgestrahlten Bildungs-Diskurs im Deutschlandradio von Christian Füller, der sonst nicht gerade für neoliberale Positionen in Bezug aufs Bildungs-System bekannt ist. Dennoch redet er – wie praktisch alle anderen TeilnehmerInnen der Debatte – einem Konzept der Schulbefähigung das Wort, also der Idee Schulen einfach Autonomie und Geld zu geben, damit sie das Problem selbst in die Hand nehmen können. Ich halte das für sehr gefährlich und auch ziemlich falsch. Denn damit wird eine riesige Qualität des Bildungs-Systems verspielt, die gerade in der Begleitung der digitalen Transformation so wichtig wäre. Es heisst nämlich deshalb Bildungs-“System”, weil es ein systematischer, flächendeckender Ansatz ist, der qua definition _alle_ Kinder erreicht. In Deutschland wird man sogar von der Polizei zur Schule gebracht, wenn die Eltern das nicht hinbekommen. Dieses “alle” ist mir wichtig, denn ich glaube der Anspruch sollte sein, dass tatsächlich alle Kinder einen Zugang zu digital literacy bekommen – auch dann, wenn sie in einer strukturschwachen Region wohnen, ignorante Eltern haben und es leider auch weder einen Förderverein noch zufällig einen engagierte/n LehrerIn gibt. Für die digitale Bildung (aber auch jegliche andere) heisst das: Es muss gelingen, das System zu überzeugen und in ein flächendeckendes sowie obligatorisches Angebot zu münden. Nur so ist Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit zu realisieren (und ja, um da wirklich hinzukommen sind noch diverse andere Dinge in diesem System zu fixen, aber das würde hier zu weit führen). Der Ansatz Schulen einfach machen zu lassen kann in dem Zusammenhang nur dann funktionieren, wenn er eingebettet ist in eine entsprechende Entscheidung des Systems als Ganzem (also z.B. die Aufnahme von Programmieren in einen obligatorischen Medienpass in NRW, um mal ein Beispiel zu nennen). Ach ja – obligatorisch ist dabei natürlich auch wichtig – zum einen weil nur so eine systematische Versorgung entsteht. Ausserdem weil die Versorgungslücken wie meist nicht zufällig verlaufen, sondern z.B. entlang von Geschlechtergrenzen. Ein freiwilliges AG-Angebot “Programmieren” oder “Elektro-Basteln” in der Grundschule wird immer mehrheitlich von Jungen besucht werden. Bei einem obligatorischen Angebot entsteht das Problem gar nicht erst.
Also: Ja, tatsächlich sollten alle SchülerInnen in Deutschland programmieren lernen, so schnell und flächendeckend wie möglich.
*dabei habe ich übrigens gelernt, dass das eingesetzte Sprach-System (Open-Sphinx) Kinder deutlich schlechter versteht als Erwachsene. Das ist ein interessanter Design-Bias denn das System sollte eigentlich von solchen Faktoren unabhängig funktionieren.
**alle die sich jetzt sagten “ja, stimmt – das war geil” bitte mal kurz innehalten und überlegen: warum eigentlich? Ich glaube nämlich, dass es mehr ist als nur der “mastery-effekt”, also die Tatsache, dass man etwas geschafft hat worauf man hingearbeitet hat. Es ist doch eher so, als hätte man etwas geknackt was ein grosses Tor zu weiterem öffnet oder eben Magie ausstrahlt.