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Als die Hölle aufging

February 5th, 2019 — 10:13pm

1989 bin ich aus dem Allgäu nach Köln gezogen um meinen Zivildienst anzutreten – gerade 19 Jahre alt, in die grosse Stadt, raus aus dem verhasst konservativen bayrischen Tal. Köln war eine aufregende Stadt, Zivildienst war grossartig, man bekam eine Wohnung, einen Job und etwas Geld und ansonsten viel Freiheit. Ich wohnte direkt auf dem Gelände der Uniklinik in einem Schwesternwohnheim, möbliert. Und ich hatte meine Wunsch-Stelle zugesprochen bekommen – nämlich die Klinik-Seelsorge an der Uniklinik Köln. Riesiges imposantes Hochhaus, modernste Medizin aber auch alles abgefahren gross und Respekt einflössend. Ich war fest entschlossen nach dem Zivildienst (damals 24 Monate lang) mein Theologie-Studium anzutreten, und total gespannt auf die Zeit mit dem katholischen Seelsorger, von dem ich schon hier und da aufregende Sachen gelesen hatte. Und er war auch aufregend und total inspirierend – Pfarrer Helmut Zielinski, Leiter der Klinikseelsorge an der Uniklinik Köln. Praktisch vom ersten Tag an war ich als Hilfs-Seelsorger unterwegs, Neurologie und HNO, doch bald sollte noch anderes dazukommen. Es war eine harte Prüfung vom ersten Tag an. Durch die Gänge laufen, mit Schwerkranken reden und deren Leid irgendwie hilflos etwas erträglicher machen. Zwischendurch als Fake-Messdiener (weil evangelisch) dem Dominikaner-Pater assistieren oder auch mal einen Gottesdienst vor grauem Himmel mit lauter sterbenden Menschen, die im Liegen zu uns reingefahren wurden. Ich dachte es wäre schlimm und fühlte mich praktisch permanent innerlich überfordert, insbs. auch mit den schweren Diagnosen, dem Versagen der Ärzte wenn sie z.B. eine austherapierte Mutter zum Sterben nach Hause entliessen im festen Glauben sie sei geheilt – mit zwei kleinen Kindern.

Was ich nicht wusste war, dass Zielinski dabei war das erste Hospiz in Deutschland zu eröffnen, und dazu auch die erste Palliativ-Station in der Uniklinik, die nach englischem Vorbild völlig anders gestaltet war als die anderen Stationen im Bettenhaus – Aquarien, Polstermöbel, Musik. Und Menschen darin ohne Schmerzen, weil man sich endlich traute moderne palliative Schmerztherapie anzuwenden. In diesem Hospiz sollte ich viele Nächte als Zivi verbringen, noch mehr am Rande meiner Fähigkeiten. Aber es gab noch etwas, was ich nicht wusste – und das war, was auf Ebene 8 des Bettenhauses vor sich ging – der Station für Hauterkrankungen. 1989 war der erste Höhepunkt der Aids-Krise, und Köln war durch seine ausgeprägte Schwulenszene eine Hochburg des Sterbens. Zielinski der Seelsorger mittendrin – gegen seine Kirche, die damals verlauten liess, die Krankheit sei eine Strafe Gottes*. Ich kann mich noch genau erinnern wie es war, als er mich zum ersten mal mit auf die Station in Eben 8 nahm. Es war, als hätte jemand das Tor zur Hölle aufgemacht. War die Uniklinik sonst eher von älteren Menschen geprägt, lagen hier plötzlich fast ausnahmslos junge Männer in den 20ern in den Betten, wanden sich, schrien und sahen einfach furchtbar aus. Die Körper übersät von Karposi-Sarkomen, geplagt von Lungenentzündungen, Pilzerkrankungen und jeglicher Art von Scheiss-Infekten, weil das Immunsystem am Kollabieren war. Und niemand wusste, was das sollte. Ansteckungswege waren unklar, überhaupt was das für eine verdammte Krankheit war. Und die Jungs starben wie die Fliegen – es verging kaum ein Tag ohne Beerdigung, Tränen und Abschied. So viele von uns haben diese traumatische Zeit erlebt, bei mir stecken diese Monate und Jahre wie ein dunkles Kapitel irgendwo tief in der Seele. Dann wurde ich noch zu einem Sonder-Einsatz gerufen – einer von Zielinskis Patienten, mit dem er gerade ein Buch geschrieben hatte (“Ist Dir überhaupt klar, dass ich Aids habe?”) war in ein Landkrankenhaus in Darmstadt verlegt worden – warum ist mir bis heute nicht klar. Denn Horst war von zuhause ausgebrochen und hatte angefangen sein Schwulsein in Köln auszuleben. Hatte Freunde und wurde geliebt. Aber jetzt war er zurück in Darmstadt, in der Nähe seiner Familie – ich meine es hatte damit zu tun, dass die Uni-Klinik ihn nicht mehr halten wollte, und ein Ort zum Sterben gesucht wurde. Nur war das ein langsames Sterben mit Aids. Und das Pflegepersonal war voller Angst, wollte ihn eigentlich gar nicht anfassen. Also sollte ich die letzten 14 Tage bei ihm am Bett verbringen und dafür sorgen, dass es erträglich war. Dass er nachts nicht von der Angst zerfressen wurde. Und auch nicht das Pflegepersonal, dem ich vermeintlich infektiöse Pflegevorgänge heroisch abnahm. Obwohl ich auch totale Angst hatte. Ich musste dann abbrechen, weil ich nicht mehr konnte – aber Horst hatte darum gebeten, dass ich mit seinen Freunden aus der Aids-Hilfe seinen Sarg tragen würde. War einer der dunkelsten Momente, auf die ich so zurückblicken kann. Wie der innerlich vernichtete Vater mir in der Küche der Darmstädter Vorstadtwohnung ein Wasser anbietet, auf- und ab läuft und Du merkst, wie ihn das alles fast zerreisst, die Scham über das Schwulsein des eigenen Kindes, der Verlust, die Katastrophe. Das doppelte Sterben, weil ihm noch nichtmal im Angesicht des Todes gelang einen Frieden mit seinem Kind zu finden. Der gefakte Todes-Schein um zu vermeiden, dass er ausserhalb der Friedhofsmauern beigesetzt worden wäre. Das murmelnde Rosenkranz-Gebete der homophoben Drecks-Gemeinde. Und die heroischen, multipel angefeindeten Freunde aus der Aids-Hilfe, die zahlreich angereist kamen, Flagge zeigten und mit mir den Sarg trugen.

Danach hatte ich fertig.

Warum ich das erzähle – zum einen habe ich gerade zufällig nochmal Szenen aus Philadelphia mit meiner Frau geschaut. Ein Film, der wie kein anderer all das oben auf den Punkt bringt. Den Hass, die Angst, die Liebe und die Solidarität in der Schwulenszene, sowie bei Leuten, die ihnen in diesem unfassbaren Leid mit allem zur Seite standen. Wie auch Helmut Zielinski – der vor einem Jahr gestorben ist. Ich denke an die tausenden von Menschen, die dieses abartige Virus getötet hat. Möget Ihr in Frieden ruhen. Ich denke auch an die Medizin, die es geschafft hat diese epische Krankheit Schritt für Schritt einzudämmen und inzwischen fast zu besiegen. Ihr seid wirkliche Helden.

 

*der damalige Kardinal Meisner hatte gerade in einem TV-Interview gesagt, dass er Aids für eine Strafe Gottes halte. Ich kann bis heute noch spüren, wie sich diese Worte anfühlten auf Ebene 8. Aber wirklich heroisch war, wie Zielinski das wenige Wochen später konterte. Es war nämlich üblich, dass der Kardinal einmal pro Jahr in die Uniklinik kam, um Kranke zu salben. Ein gut organisierter Rundgang, bei dem vor allem gute Fotos entstehen sollten. In diesem Jahr stand der Rundgang wieder an, Presse war dabei und allerlei Leute rund um den Kardinal, die ihn begleiteten. Zielinski hatte die Leitung. Nur dass er diesmal kurzfristig und unabgesprochen den Lift auf Station 8 anhalten liess. Nach dem dritten Bett nahm der Kardinal Zielinski zur Seite und bat darum abzubrechen. Am nächsten Tag durfte ich ihn zum Dienstsitz des Kardinals in die Kölner Innenstadt fahren. Ich wartete in der Tiefgarage. Er kam zurück und war gefasst. Sofortige Versetzung nach Brasilien. Wo er bis zuletzt als Seelsorger gewirkt hat.

 

 

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