Warum ich an Crypto glaube
In der Psychologie gibt es ein Prinzip, das auf die Freudsche Theorie des Unbewußten und vor allem die der Verdrängung zurückgeht, und das geht so: Wenn Dein Gegenüber heftig reagiert solltest Du genauer hinschauen, meistens ist das sogar dann ein guter Hinweis, dass etwas noch viel größeres dahinter steht, das eben dieses Ausmaß an Abwehr erfordert.
Gemessen daran stehen wir vor einer großen Crypto-Revolution, die kaum einen Teil unserer Gesellschaft außen vor lassen wird.
Und, Spoiler: das glaube ich wirklich. Nur etwas anders, als viele vielleicht vermuten.
Ich will nicht groß auf die Abwehr-Front eingehen, aber es ist trotzdem bemerkenswert, sich die mal kurz anzusehen – das kann man ja auch leicht selbst machen. Was aber schnell auffällt ist die Gewalt und das Ausmaß der Wut, das da viele offenbar zu treiben scheint – was angesichts der Überschaubarkeit des Phänomens schon bemerkenswert ist. Egal ob Michael Seemann sinniert, man könne die komplette Neo-Nazi Bewegung durch Unterbinden von Crypto-Tokens austrocknen oder ob Patrick Beuth vom “Internet, das es zu verhindern gilt” spricht – klein und diskurs-offen scheint gar keine Option zu sein. Der Atlantic hat eine schöne Analyse dazu verfasst, warum die Crypto-Gegner offenbar so wütend sind. Generell sollte man in Deutschland bei Hass gegen Aspekte der Digitalisierung auf jeden Fall immer lieber zweimal hinschauen.
Aber das lohnt sich sowieso bei den Crypto-Themen aktuell, und ich will meine hoffnungsvolle Haltung gleich mal näher erläutern. Eine Sache aber noch vorweg, was ist eigentlich “Crypto” und “Web3” – also mal ganz konkret?
Es ist tatsächlich erstmal was das Wort auch nahelegt – ein neuer kryptographischer Layer, ein neuer Ansatz im Netz, der nochmal deutlich stärker auf Kryptographie setzt als bisherige Technologien. Also ganz konkret – in meinem Browser hier oben, wo ich gerade schreibe, befinden sich mehrere Icons (s.u.) die jeweils eine sog. “Wallet” repräsentieren. Eine Wallet ist hier gar nicht so sehr ein Tool des Turbo-Kapitalismus, sondern vielmehr der Zugang zu einem kryptographischen Key-Pair, also einer Kombination aus einem privaten und einem öffentlichen Schlüssel, die ich für mich erstellt habe. Die Technologie dahinter stammt aus dem 70er Jahren des letzten Jahrhunderts und hat sich bis heute praktisch überall in der IT etabliert zum Austausch sicherer Informationen, z.B. im Online-Banking, bei sicheren Internet-Verbindungen, bei der Fernwartung von Kraftwerken usw.
“Crypto” heisst also erstmal, dass wir eine nutzerfreundliche Möglichkeit gefunden haben, diese sehr gut erprobte und sehr verlässliche Technologie in meine Browser-Zeile zu bekommen. Zwei der Icons in meinem Browser zeigen zu Wallets im engeren Sinne, also solchen wo ich Crypto-Coins speichern und traden kann, zwei andere zeigen auf weltweit verteilte Dokumenten-Speicher-Systeme, die eher den Zweck erfüllen, einen dezentralen Speicher für Dokumente, Bilder usw. zu verwenden.
Mit diesen Wallets kann ich nun bestimmte kryptographische Operationen ausführen, denn ich kann mit meinem privaten Schlüssel Vorgänge autorisieren, die von der Gegenstelle anhand meines öffentlichen Schlüssels verifiziert werden können. So ist es z.B. möglich sich mit der Wallet in eine Website einzuloggen. Das faszinierende dabei ist, dass die Website mir auf diesem Weg einen Zugang zu geschützten Bereichen erlauben kann ohne dass ich dort überhaupt einen Account anlegen müsste. Meine Wallet dient also als Zugangs-Account, den Schlüssel um mich “auszuweisen” verwalte ich aber selbst. Damit ist der Zugang sehr datenschutzfreundlich und auch relativ sicher, denn wenn ein Hacker oder eine Hackerin die Website hacken würde, gäbe es kein password von mir zu finden dort, das liegt nur bei mir in der Wallet (und im Falle einer sog. “cold-wallet” sogar sicher auf meinem Schreibtisch statt irgendwo auf dem Rechner). Viele der Probleme zentraler Architekturen – nicht nur das Hacking-Risiko – ließen sich damit theoretisch geschickt umgehen, einfach indem man viel mehr auf kryptographisch abgesicherte dezentrale Infrastrukturen setzt. Auch soziale Netzwerke ließen sich damit ganz anders organisieren (gibt es ja auch schon in Ansätzen).
Damit sind schonmal die Grundzüge des Web3, des “dezentralized web” beschrieben. Dessen Idee ist nämlich, dass es viele solche dezentralen Websites und Dienste gibt, und die Menschen sich mit Ihren Wallets und pseudonymen Identitäten dort bewegen und in Interaktion treten. Zusätzlich gibt es dahinter ein ebenso kryptographisch gebautes Netz von Blockchains – das sind verteilte Speicher, die meist vor allem Transaktionen für alle einsehbar speichern und fortschreiben. Meine Wallet ist jeweils mit so einer Blockchain verbunden und kann dort Dinge auslösen, also z.B. ein digitales Asset von mir auf jemanden anderen (eine andere Wallet) übertragen. Das kann eine digitale Währung sein oder auch ein anderer “Coin”, also ein kryptographischer Repräsentant von irgendwas. Es gibt z.B. einen Klima-Coin, der verwendet wird um CO2 Einsparungen abzubilden. Es gibt Energie-Coins, die verwendet werden um Nachbarschafts-Strom zu verrechnen. Und es gibt sog. “non fungible coins/tokens”, die als NFT derzeit viel Aufregung verursachen, und als digitale Nutzungsrechte eines (häufig auch digitalen) Bildes verstanden werden können. Die Uffizien in Florenz geben z.B. NFTs ihrer Meisterwerke heraus um den Museumsbetrieb zu finanzieren (natürlich in der Pandemie entstanden). Die Idee limitierte Kopien von Kunstwerken herauszugeben, die von der Künstlerin oder einer anders autorisierten Person signiert sind, ist übrigens deutlich älter als “Crypto” – vermutlich hat fast jeder Zuhause irgendetwas an der Wand hängen, was aus so einem Prozess stammt.
Ok, das war ein kurzer Exkurs zum Web3 und von welchen Mechanismen wir da eigentlich reden. Und, ist etwas aufgefallen? Ich habe bisher noch gar nicht von flackernden Bildchen, “bored apes” und millionen-schweren Transaktionen für zweifelhafte Digital-Kunst gesprochen. Muss man eben auch nicht, das ist nur ein Seiten-Phänomen von Crypto aktuell.
Nun aber zum eigentlichen Punkt dieses Artikels, dem Grund warum ich eher hoffnungsvoll bin, was die mittelfristige Wirkung des aktuellen Crypto-Hypes anbelangt. Oder warum ich “daran glaube”.
Dafür sollte man die ganze aktuelle Aufgeregtheit mal beiseite legen und kurz überlegen, welche größeren Trends sich vielleicht in der aktuellen “Crypto-Entwicklung” abbilden.
Ich sehe da vor allem zwei – 1) die Digitalisierung und 2) das Zusammenbrechen des traditionellen Währungs-Systems.
Habe ja schonmal an anderer Stelle dargelegt, woher meiner Ansicht nach die Digitalisierung ihre starke Sogwirkung bezieht, und warum sie in so ähnlichen Mustern in unterschiedlichsten Ecken aktiv ist. Kurz gesagt: physische Dinge (im weiten Sinne, also Objekte, Vorgänge, Menschen usw.) werden digitalisiert, indem sie erstmal irgendwie in ihre jeweilige Daten-Repräsentation verwandelt werden. Das kann in Form eines Sensors mit Internet sein, über eine App oder manchmal auch indirekt. Sobald diese digitale Repräsentation da ist, fängt diese an sich zu vernetzen und digitale Beziehungen einzugehen, die davon profitieren, dass im Digitalen nahezu keine Transaktionskosten anfallen. Man kann also sehr sehr viele, sehr hochfrequente Beziehungen eingehen. Im nächsten Schritt wandern dann Prozesse aus dem Analogen in diese digitale Sphäre, also Geschäftsprozesse aber auch Freundschaften, der Gesundheits-Status bis hin zu seelischen Vorgängen oder “Gestalten”. Wer z.B. intensiv Google-Fotos nutzt und sich anhand von AI-gestützten Kategorien durch die Fotos wühlt, bekommt schnell eine Ahnung, was ich meine.
All das passiert gerade weltweit in ganz vielen Ebenen, in unterschiedlichen Geschwindigkeiten und hier und dort gegen unterschiedliche Widerstände. Ich bin mir übrigens auch nicht sicher, ob es gut ist oder in eine totale Dystopie mündet, aber ich bin fest davon überzeugt, dass wir es erstmal nicht werden aufhalten können (man muss sich nur die Menschen in der Straßenbahn anschauen, wie alle an Ihrem Smartphone hängen. Wir haben längst unsere Seelen dahin verkauft). Aber ich war auch immer schon Apologet der Digitalisierung und von der Möglichkeit überzeugt, dass es eben auch eine Utopie befeuern könnte, gerechtere Verteilung von Gütern, mehr soziale Bindung, mehr Chancen für alle, weniger Grenzen usw.
So, aber was spielt “Crypto” da für eine Rolle? Eigentlich ganz einfach, es scheint mir einfach ein nächster logischer Schritt in dieser Evolution zu sein. Die digitale Sphäre wird aktiver, es werden mehr Transaktionen dort hin verlegt und wenn ich mich mit meiner Wallet an einer dezentralen Börse wie Sushi-Swap anmelde um einen kryptographischen Stable-Coin zu tauschen und danach zu staken, dann ist das einfach ein ziemlich abgefahren digitaler Vorgang. Aber eben auch ein starker, gut kryptographisch abgesichert, hoher Datenschutz, pseudonym und irgendwie digital faszinierend. Wenn man mal kurz überlegt, wie wir die Klima-Krise in den Griff bekommen wollen und wie nachhaltige Wirtschaft in den nächsten Jahrzehnten aussehen wird kann man schon auf die Idee kommen, dass ein kryptographisches, dezentrales Netz mit gut abgesicherten aber starken “Nodes” eine wichtige Rolle spielen könnte. Einfach weil ich vll. dem Produzenten meines Kaffees auf diesem Wege direkt einen Ausgleich zukommen lassen kann nachdem er mir einen digitalen Produktions-Nachweis geschickt hat. Oder indem ich der afrikanischen Strom-Farmerin mit meinem Carbon-Coin die Energie(-Zertifikate) abkaufe, um die Badewanne aufzuheizen für heute Abend. Vielleicht gäbe es ja sogar eine Art virtuellen, als dezentrale autonome Organisation (DAO) organisierten Bio-Laden, bei dem ich nachhaltig gepflanzte Kakao-Bohnen ernten könnte…
Also: ich glaube “Crypto” steht nur für einen wichtigen nächsten Entwicklungs-Schritt des Internets und der Digitalisierung und es könnte eine gute Idee sein über den Trash hinwegzusehen, und den Blick auf das mögliche langfristige Potential zu lenken. Und übrigens: Als das Web in den Neunziger-Jahren zu laufen begann gab es viel Trash-Content, dubiose Angebote, viele gescheiterte total abgefahrene Unternehmen und ohne Ende verbranntes Investoren-Geld. Ich musste mehrfach Menschen aus dem Freundes/Verwandtschafts-Kreis von Porno-Dialern befreien und weiß, dass aus dem damit erwirtschafteten Geld schöne Villen in Südafrika finanziert wurden.
Und nun noch kurz zum anderen Punkt, dem möglichen Zusammenbruch des Geld-Systems. Zum Glück ist das nicht meine Theorie, sondern es gibt eine ganze Reihe kluger Menschen, Kulturwissenschaftlerinnen wie z.B. Christina von Braun, Autoren wie z.B. Thomas Ramge oder Ökonomen wie Stefan Heidenreich die schon seit längerem die These vertreten, dass das etwa 3000 Jahre alte Geldsystem vor einem fundamentalen Wandel, evtl. vor einer kompletten Ablösung stehen könnte. Und man muss nicht gro´ß überlegen um Belege dafür zu finden, dass dieses System zur Zeit irgendwie nicht mehr so richtig gut zu funktionieren scheint. Negativ-Zinsen, abstruse Derivat-Produkte, glühende Geld-Druckmaschinen und immer schärfer drohende Inflation. Hinzu kommen abgeleitete Dysfunktionalitäten wie die ausgestorbenen Innenstädte oder die insgesamt aus dem Ruder geratenen Geld-Ströme an die Super-Reichen, die dann als erratische Gut-Menschen-Spenden wieder zurückkommen.
Ich habe in einem kleinen Talk beim ADC kürzlich mal dargelegt, warum die Innenstadt von Venedig wieder mehr bewohnt sein könnte, wenn nicht mehr Geld in Wohnungen akkumuliert werden müsste:
Wie wäre es, wenn die Crypto-Coins auch schlicht ein weiterer Indikator dafür wären, dass wir an einem Folgeprojekt arbeiten müssen und ein neues System brauchen um Werte zu transferieren, zu speichern und gerecht zu verteilen? Wenn man sich z.B. mal genauer anschaut wie elaboriert und mathematisch faszinierend manche Stable-Coin Projekte daherkommen (z.B. Olympus DAO Ohm), dann kann man da schon ins Grübeln geraten. Vor allem aber könnte man sagen: oh, bevor wir das jetzt einfach in Grund und Boden bashen wäre es vll. ja auch interessant mal zu schauen, was daraus entstehen könnte? Wie könnte man diese neuen Technologien vll. nutzen, um ein paar der anstehenden Probleme zu lösen wie z.B. einen nachhaltigen globalen Markt für grüne Energie?
Na ja – mir ist schon klar dass man die Wut-Gemeinde damit nicht wird hinter dem Ofen vor-locken können. Aber wenigstens habe ich mal versucht zu erklären, warum ich an die Power von Crypto glaube, auch wenn ich nicht mal eine Fraction eines Bored-Apes in meinem Wallet habe…