Lieber Herr Faber…

…was ich bei Ihnen und einer ganzen Riege* ähnlicher Kommentatoren immer nicht verstehe – was ist passiert, als Sie zum letzten mal einen Text wirklich gelesen und – wenigstens in Grundzügen – verstanden haben bevor sie über ihn herfallen mussten? Oder tragen sie jetzt einfach ein Kapuzenshirt und eine Jeans die in den Kniekehlen hängt und finden es ergo uncool Texte ernsthaft zu lesen?

Ich würde es wirklich gerne verstehen.

Denn die Diskussionen sind so ungleich viel fruchtbarer, wenn man sich mit Leuten austauscht, die verstanden haben, was man gesagt oder geschrieben hat bevor sie sich irgendwie darauf beziehen, wissen sie. Ja es ist anstrengender, stimmt schon. Aber Ihre Art der Kommentierung hat sowas von Topfschlagen für Erwachsene.

Vielleicht hilft es ja wenn ich es am aktuellen Beispiel mal erkläre.

Sie hatten die Güte, mich in Ihren letzten beiden Sonntagsrückblicken zu erwähnen (zuletzt heute hier), und zwar mit Bezug auf meinen Datenschutz-Artikel.

Ihre Argumentations-Strategie gegen meine Thesen lautet grob (möchte Ihnen hiermit ersparen auch noch den eigenen Text lesen zu müssen, wollen es mal nicht zu weit treiben gleich zu Beginn): er sagt die Daten seien nicht durchsuchbar, ich cooler Hund kenne sogar ne Software die das kann und werde super brutal aufdecken, dass die Firma dieser Software in Pullach (raunen) liegt.

Jetzt ist es leider so, dass meine Argumentation eine andere war (auch hier werde ich ihnen erstmal ersparen meinen Text jetzt doch zu lesen, das machen wir in einer späteren Lektion). Denn ich habe gesagt, der neue Datenschutz bestünde nicht mehr in Vermeidung, sondern in bewusster Streuung persönlicher Daten. Wobei der Schutz in den Verfälschungen, Lücken und multiplen Identitäten besteht, die viele Leute sich heute wie selbstverständlich online schaffen.

So, jetzt mal kurz überlegen. Äh…was hat der gesagt? Also nochmal: Gerade durch die Veröffentlichung massiver persönlicher Daten entsteht eine neue Art von Schutz für den User.

Vor diesem Hintergrund dürfte klarwerden, dass Ihre “aber man kann die Daten wohl auslesen” Argumentationslinie ein bisschen ins Leere greift, oder? (ggf. nochmal von oben nach unten alles durchlesen, Notizen erlaubt).

Herzliche Grüsse,

Einer der Vollpfosten der Social Media

*der war gut, oder?

Category: Netzpolitik | Tags: , , , 12 comments »

12 Responses to “Lieber Herr Faber…”

  1. Sebastian

    Verbrenne gerade unter Lachen meinen Kapuzenpulli.

  2. Falko

    ich sag nur…. hihihihi :-)

  3. AlteSchule

    Abgesehen davon, dass ich nun wirklich mit mir gerungen habe, dieser Nulleistung durch einen Kommentar Relevanz zu geben, ist vielleicht folgender Hinweis angebracht:
    Zu glauben, wenn man nur oft genug möglichst viel/nur Teilaspekte über sein Privatleben äussert, erschwere das eine (automatische) Auswertung und Zusammenfassung der interessanten Punkte, ist schlicht und einfach naiv, um nicht zu sagen: erschreckend blöde.

  4. Grim

    Herr Faber ist natürlich nicht einer der diplomatischsten Zeitgenossen, aber inhaltlich hat er absolut recht.

    Die echte Kommunikation wird sich algorithmisch immer von gefälschter unterscheiden lassen. Du müsstest dir ja ein ganzes Bataillon falscher Freunde kaufen und mit denen genau so intensiv kommunizieren wie mit den richtigen Freunden, um überhaupt erst mal eine (absolut theoretische) Chance zu haben, dass das Kommunikationsverhalten ambivalent rüberkommt. Praktisch ist das selbstverständlich nicht durchzuhalten.

    Ferner muss man dazu sehen, was Kommunikation wirklich bedeutet, nämlich nicht nur das Senden und Empfangen von Nachrichten. Die meisten Nachrichten verursachen ja einen impact, etwa zeitnah weitere Kommunikation oder Recherche bezogen auf den Nachrichteninhalt. Dieses riesige Biotop ist einfach nicht fälschbar. Alles wird in irgendwelchen Datenbanken erfasst und kann mit Statistiksoftware umfassend ausgewertet werden. Dadurch wird dein Verhalten vorhersagbar, ob du z.B. für einen Job geeignet bist oder nicht (einfach durch Vergleich von Nutzern mit ähnlicher Netzwerkstruktur)
    Hinzu können noch Daten kommen über die User Interfaces, z.B. scheinbar abstruses wie Geschwindigkeit der Mausbewegungen zu verschiedenen Tageszeiten, etc, die ebenfalss zwischen Millionen anderen Nutzern verglichen werden können.
    Zum Thema Vorhersagbarkeit ist überhaupt wichtig, dass nicht unbedingt ein Universitätsforscher diese oder jene Korrelation (z.B. Depressionen und Sprechmelodie) herausfindet, sodass eine Öffentlichkeit informiert ist, sondern dass hinter den verschlossenen Türen der großen Datenunternehmen genauso banal statistisch verglichen wird und Erkenntnisse über starke Korrelationen herauskommen, über die man nichts erfährt.

    Man sollte sich nicht am vermeintlichen Paradoxon ergötzen, mehr Daten bedeuteten mehr Verwirrung und Intransparenz. Das ist schlicht falsch, mehr Daten bedeuten mehr Kontrolle und Vorhersagbarkeit. Und das sollte den Leuten gesagt werden, alles andere halte ich für fahrlässig.
    Wenn man sich Gedanken macht, hilft es sich beim Denken von Kommunikation von den Websites ihren cool klingenden Namen und user interfaces freizumachen und das alles als gewichteten Graphen aufzufassen. Frank Rieger hat dazu vor ein paar Wochen in der FAZ eine lesenswerte Einführung geschrieben (auch online).

  5. Stephan

    Ist es eigentlich auch alte Schule sich nur anonym an so einer Debatte zu beteiligen?
    Wie auch immer – ich bleibe dabei: wenn jemand in 5 unterschiedlichen Netzwerken 5 unterschiedliche Geburtstage eingibt, die alle falsch sind, wenn die Person darüberhinaus die Interessen sehr unterschiedlich angibt – je nach Netzwerk, Vertrauenswürdigkeit usw. dann sollte glaube ich jedem klar werden dass die Situation für den “Auswerter” nicht gerade einfacher wird. Wenn das auch noch ein bewusster Akt des Users ist – er also ein Konzept seiner Datenspur hat und gezielt die Informationen setzt – dann kann daraus definitiv ein grösserer Schutz resultieren als vorher. Keine Ahnung warum sich alle dieser Idee so verschliessen – ist auch an sich nichts neues. Habe ja mit meinem Geheimdienstvergleich schon darauf hingewiesen dass das nichts anderes ist als Desinformation 2.0.

  6. Falko

    Ich stimme mit Stephan da überein. Hier anonym nur zu kritisieren ist Zeitverschwendung. Sowohl meine als auch die des Autors.

    Inhaltlich glaube ich, dass es anstrengender ist eine falsche Spur zu legen als zu versuchen keine Spur zu legen. Einfach nur digitales Rauschen erzeugen mag ja noch gehen. Gezielt ne falsche Spur legen erscheint mir anstrengend ;-)
    Ich glaube die Masse der Nutzer sich keine Gedanken darüber macht. Anders kann man sich die massiven Zuwachsraten bei social networks nicht erklären. Wenn alle Leute sich Gedanken über ihr Profil machen würden, würde es länger dauern 300 Mio User auf Facebook zu bekommen.

    Ein Gegenargument fällt mir jedoch zu Stephan ein. Die falsche Spur funktioniert ja nur richtig, wenn alle oder wenigstens die meisten meiner Freunde mitmachen. Wenn ich zwar auf Facebook, Twitter, Buzz etc. einen anderen Account mit völlig unterschiedlichen Profildaten habe, aber trotzdem mit den gleichen Leuten verbunden bin… dann ist es auch Essig mit der Anonymität, oder? Und oft ist es ja so, daß Mengen meiner Freund in den verschiedenen Netzwerk nicht völlig disjunkt sind, sondern eher sehr stark überlappend.

  7. AlteSchule

    Ja, ich nehme mir das Recht heraus, meine Beiträge von meiner Person zu trennen. Das empfinde ich schon als “alte Schule”. Im Sinne des Artikels allerdings sollte ich wohl eine erfundene Persona verwenden, die ich aber eben nicht als solche deutlich mache, um meine digitalen Spuren zu verwischen?!
    Aaalso, nochmals zum Thema:
    Wenn der Sinn und Zweck meiner öffentlichen Aktivitäten nur der ist, widersprüchliches Material zu liefern, dann mag es sein, dass keine verwertbaren Daten-Schnittmengen entstehen. (Wobei ein Profiler auch dann noch durch Wortwahl, Grammatik, typische Rechtschreibfehler, Abkürzungen, Slang, etc. eine Menge über mich erfahren kann.) Was aber ist der Sinn davon, ausser dem Fleisskärtchen? Dann lieber in Foren trollen, da sieht der geneigte Pickeldrücker wenigstens, wie die Leute drauf rein fallen.
    Sobald aber damit irgendein konkreter Zweck verbunden ist, undoder – wie Falko dankenswerter weise ausgeführt hat – peer groups Verbindungen entstehen lassen, fällt die Theorie der Desinformation flach: Es bleibt der harte Kern.
    Von mir aus darf sich ja jeder entblöden und twittern, dass er gerade wasweissichuninteressantes tut – aber das als Datenschutzmassnahme zu verkaufen, lässt mich hoffen, dass da wenigstens ein Lobbyist für den Schwachfug bezahlt hat.
    Ich gönne jedermann seinen Exhibitionismus (muss ja nicht hinsehen), aber Datenschutz ist und bleibt ein wichtiges Thema: Datenvermeidung: Ja, bitte! Was soll ich mit dem Wust an Mentalexkrement? Es lenkt nur von dem ab, was mich wirklich berührt hätte, wenn es nicht im Schwall untergehen würde.
    Datenkontrolle: Was über mich gespeichert is, will ich bitteschön wissen. Illusionen, ich könnte es löschen lassen, mache ich mir keine.
    Beschränkung des Rechtes des Staates auf Datenerhebung und vor allem Datenzusammenführung: Sollte klar sein, warum.
    Wie diese (und ein paar andere) legitimen Themen behandelt werden, möchte ich nicht den Jungs von der Exhibitionisten- und “Wer nichts zu verbergen hat”-Fraktion überlassen. Und schon garnicht durch halbdurchdachte Thesen wie diese, auf die ich hier reagiert habe, relativieren lassen.

  8. Stephan

    Hallo @Alteschule – you made some good points…

    Erstmal ad “persona” – schwer zu schlagende Argumentation, elegant :-)

    Zu den folgenden Punkten. Ihr macht da schon valide Punkte auf – natürlich ist es naiv zu glauben, dass multiple Netzwerk-Identitäten nicht zusammengeführt werden könnten. Das habe ich ja auch gar nicht behauptet. Im wesentlichen wollte ich sagen, dass 1) user in unseren Tagen viel erwachsener darin werden mit Ihren Daten umzugehen, was auch bewusstes sharing beinhaltet. Und das geschieht auf breiter Front, es ist kein kleiner Zirkel von Spezialusern mehr die dieses Bewusstsein entwickelt haben. Ich finde es einen fairen Punkt in der Datenschutzdebatte diese Veränderung im Bewusstsein der User, die man ja schützen will, zu reflektieren. Alte Schule hin oder her.
    Und nun zum 2) Datenschutz “alter Schule”. Natürlich muss der weiter gelten und eher ausgebaut werden. Ich gehöre mit meinem Unternehmen in Europa erklärtermassen zu den Vorreitern einer konsequenten Ausrichtung am klassischen Datenschutz – wenn wir diese Richtung nicht laut eingeschlagen hätten wären sicherlich nicht weitere Unternehmen aus dem Targeting-Sektor gefolgt.
    Und ich halte die Prinzipien auch immer noch für richtig.
    Aber es ist auch nicht von der Hand zu weisen, dass diese Prinzipien eher einen unmündigen oder mindestens unkundigen Bürger voraussetzen, für den man fürsorglich handeln muss.

    Mit meinem Beitrag wollte ich im Prinzip vor allem darauf hinweisen, dass diese Annahme zu bröckeln beginnt und die ganze Diskussion eine neue Qualität bekommt.

  9. Stephan

    Tut mir leid – Kommentar war im Spam-Folder, erst durch Hinweis im CTRL-Blog bemerkt.

    Zu Deinen Anmerkungen: Ich stimme Dir in zwei zentralen Punkten nicht zu:

    1) es ist nicht so schwer sein Kommunikationsverhalten mit “Fälschungen” zu durchziehen – wir machen das im Prinzip sowieso regelmässig. Ich glaube aber dass die Internet-Kommunikation, insbs. in social networks, diese Eigenschaft regelrecht trainieren hilft. Ich kenne inzwischen zig Leute die bewusst falsche Geburtsdaten angeben, unter falschen Namen kommentieren, Aspekte Ihrer Identität hier weglassen um dort welche hinzuzufügen die nicht ganz stimmen usw. – von der alltäglichen Realitätskonstruktion auf twitter und co mal ganz zu schweigen. Die Annahme Kommunikation und (insbs. digitale) Freundesbeziehungen seien immer als solche zu werten und automatisch Ausdruck einer Wahrheit dieser Person ist schlicht naiv und gerade online oft nicht zutreffend.
    2) es wird hier immer so viel von “den Algorithmen” und der “statistischen Software” und “starken Korrelationen” gesprochen. Ich glaube viele haben schlicht noch nie mit solchen tools und solchen Daten gearbeitet. Denn es ist in den allermeisten Fällen unendlich viel schwieriger aus den Daten auch nur halbwegs brauchbare Erkenntnisse zu ziehen und in 99% der Fälle wo ich eine starke Korrelatoin gesehen habe lag dieser ein experimenteller Fehler zugrunde. Ihr überschätzt einfach sträflich die wirkliche Macht der Algorithmen und damit auch das Bedrohungspotential der Daten.

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