Wie funktioniert die Digitalisierung? [Teil1]

Ich beschäftige mich mit der Digitalisierung, seit ich angefangen habe zu arbeiten – oder kurz davor. Einfach weil das Internet für mich ehrlicherweise von Anfang an ein Suchtmedium war. Ich fühlte mich unglaublich von vernetzten Computern angezogen, und als das erste mal der Administrator des link-mailbox-systems mich per chat ansprach vor vielen Jahren, war das für mich wie eine Erscheinung, mega aufregend. Bin gleich zu meiner Frau gerannt und hab ihr davon erzählt, als sei gerade beim Rewe Madonna neben mir an der Kasse gestanden (mir ist klar, dass ich jetzt alle jüngeren LeserInnen verloren habe).

Und zunehmend stelle ich mir die Frage – woher kommt diese Anziehungskraft eigentlich? In den letzten Jahren kommt dann noch eine zweite Frage hinzu – denn inzwischen zeichnet sich ab, dass die Digitalisierung nicht nur uns Nerds einsaugen wird, sondern alles andere auch. Für mich ist das wirklich eine überraschende Entwicklung, die ich noch vor 10 Jahren nicht für möglich gehalten hätte – dass man plötzlich mit einem Aussteller der Eisenwaren-Messe darüber spricht, wie er zur nächsten Ausgabe der Messe ein Cyber-connected Device rausbringen könnte. Inzwischen kann man klar sagen, dass die Digitalisierung alles erfassen wird, alle möglichen Industrie-Bereiche (auch solche wo man es nicht für möglich gehalten hätte), unser normales Leben (Freundschaften, Tod, Sex usw.) und zunehmend auch alle möglichen Aspekte unserer Gesellschaft, insbs. auch wie Politik funktioniert und gesteuert werden kann*.

Deshalb möchte ich mich in einer offenen Serie von Blogposts damit beschäftigen, wie die Digitalisierung funktioniert – welche Muster man erkennen kann und was daraus ggf. abgeleitet werden sollte. Ich werde dafür eine schlampige Sammlung von Quellen nutzen, meine berufliche Erfahrung, meine Erfahrung als “Netzbürger”, einen Vortrag von @mspro, den ich sehr inspirierend finde, Bücher von Jean Baudrillard und Felix Stalder sowie den gerade herausgekommenen Sammelband zur Digitalisierung der psychoanalytischen Zeitschrift “Psyche”. Ausserdem das aktuelle Buch von Thomas Ramge und Viktor Mayer-Schönberger zum Daten-Kapitalismus. Die Liste der Bücher ist aus zwei Gründen etwas kurz. Einige andere habe ich dazu gelesen, vor allem englisch/amerikanische, die mir irrelevant erscheinen oder auf jeden Fall zu laberig. Aber vielleicht kommen die auch noch rein, daher ja offene Blogpost-Reihe. Baudrillard ist für mich ein Statthalter für frühere Theoretiker die ich sehr schätze, die schon vor dem Internet über bestimmte Dinge nachgedacht haben. Damit will ich der Frage nachgehen, ob es überhaupt tatsächlich das Internet ist, das diese Phänomene konstituiert und nicht schon eine frühere Entwicklung, die sich nur im Internet jetzt einen perfekten Ort gesucht hat (Baudrillard sprach in “der symbolische Tausch und der Tod” schon sehr früh von der Konversion der Wirklichkeit und unseres Lebens in die der Symbolik, das Simulakrum). Das mit der Psyche ist auch eine bestimmte Funktion. Bin ja selbst Psychologe und mit einer psychonanalytisch arbeitenden Psychotherapeutin verheiratet (die Zeitschrift ist ihr Abo). Diese Sog-Wirkung von der ich oben sprach muss auch so analysiert werden, denn sie ist in hohem Maße psychisch. Irgendwas in unserer Seele wird getriggert durch das Internet, etwas sehr tiefes. Die Psychoanalyse könnte eine spannende Quelle sein um evtl. zu Antworten zu kommen, was das sein könnte. Dabei geht es übrigens auch viel um Symbolisierung, Übergangs- und Ersatz-Objekte. Wir werden sehen.

Generell hat es nicht so sehr den akademischen Vollständigkeits-Anspruch. Eher eine Art Reflexion.

smartphone_bike

 

 

Was kreiert diesen unglaublichen Sog?

Nun aber zu dem Theoriemodell, an dem ich mich abarbeiten möchte, und das gewissermassen der Ausgangspunkt sein soll, um den diese Blog-Serie sich drehen wird. Ich habe mich mit der Frage wie die Digitalisierung funktioniert auch beruflich immer wieder auseinandergesetzt – weil ich als Speaker auf Events und Podien dazu eingeladen wurde (hier ein aktueller Vortrag dazu auf einer Business-Konferenz, ab 1:38), aber auch schlicht weil ich Unternehmer bin und einen besseren Job machen kann, wenn ich verstehe wie das Feld im innern funktioniert, in dem ich meine Firmen gründe. Ein zentrales Bild habe ich über die letzten Monate entwickelt, das momentan verwendet wird (hier auf meinem Firmen-Blog ein Post dazu mit stärkerem Business Fokus**), ist das hier:

 
digital sphere

In diesem Bild soll gezeigt werden, wie die Digitalisierung generell funktioniert. Und zwar in drei einfachen Schritten. Zunächst werden alltägliche Dinge mit dem Netz verbunden (1) indem z.B. Sensoren drangehängt werden oder indem anderweitig Status-Informationen eines Dings oder einer Maschine oder eines Menschen “hochgeladen” werden. Dabei entstehen erstmal Logfiles und Daten-Artefakte. Aber zunehmend – wenn diese Logfiles immer reicher und dichter werden (z.B. weil weitere Sensoren hinzugefügt werden oder weil KI Modelle Anwendung finden etc.) entstehen in der neu etablierten digitalen Sphäre sogenannte digital twins oder digital shadows (2a). Ein Konzept das in der Industrie schon seit längerem intensiv diskutiert und erprobt wird, aber eben auch ein generisches Phänomen. Es entsteht ein digitales Abbild, und in vielen Fällen ist dieses Abbild sogar informationsreicher oder relevanter als das eigentliche Objekt wenn ich davorstehe (z.B. weil der digital shadow eines Autos bestimmte Sensor-Daten aus dem Motor enthält oder Daten aus der Fertigung hinzuziehen kann, die ich selbst nicht kenne). An sich ist das noch nicht so spannend, könnte man noch für ein Nerd-Phänomen halten. Aber es passieren in der Folge noch zwei weitere Dinge, die das Spiel komplett umdrehen zugunsten der digitalen sphäre, und es plötzlich ultra-relevant machen. Zum einen entstehen plötzlich Pfeile “von oben nach unten” (2b), d.h. Änderungen in der digitalen Sphäre fangen an die realen Objekte zu beeinflussen. Der Stuxnet Angriff auf die iranischen Uran-Zentrifugen war z.B. so ein Pfeil – da wurden einfach Drehzahl-Parameter in der digitalen Steuerung (dem Scada-Controller) so verändert, dass die Maschinen “dachten”, sie könnten mit höherer Drehzahl arbeiten. Dann sind sie aber kaputt gegangen. Aber es passiert noch etwas das absolut faszinierend ist: zwischen den Objekten in der digitalen Sphäre bilden sich plötzlich Pfeile heraus, d.h. es werden Beziehungen etabliert die ausschliesslich in der digitalen Sphäre stattfinden (3). In der Industrie wird z.B. aktuell sehr heiß “machine as a service” diskutiert, also dass eine Maschine nicht mehr verkauft, sondern einfach nach gemessenen Nutzungsvorgängen automatisch abgerechnet wird. Das bedeutet, dass ein IoT Sensor an der Maschine misst, wie oft diese z.B. ein Bauteil gestanzt hat. Dieses Messdatum wird z.b. über 5G Uplink an eine Cloud übertragen. Dort landet das Datum in einem ERP-System und generiert eine Rechnung. Der gesamte Geschäftsprozess rund um die Maschine verschiebt sich dann in den digitalen Layer. Der alte Prozess im realen Layer hingegen wird zurückgefahren und irgendwann komplett eingestellt. Ist übrigens ein Phänomen, das sehr rationale Gründe hat – vor allem liegen diese in den drastisch niedrigeren Transaktions-Kosten in der digitalen Sphäre. Es ist einfach spottbillig eine Maschine messen zu lassen, wie oft ein Greifarm bewegt wird – es kostet praktisch nichts. Auch nicht das Datum zu übertragen, zu verrechnen und eine elektronische Rechnung auszustellen. In der realen Welt wäre so ein Prozess unbezahlbar gewesen. Das erklärt aber auch den Sog, zumindest einen Teil davon. Es ist ein simpler ökonomischer Mechanismus. Ich persönlich glaube allerdings, dass noch ein paar andere Prozesse eine Rolle spielen, die weniger ökonomisch sind und die sich mit dem ökonomischen Sog verbinden zu einem perfekten Wirbelsturm. Aber dazu später.

Was mir an dem Theoriemodell gefällt ist dass es sich wirklich gut eignet eine ganze Reihe von Phänomenen zu erklären und einzuordnen. Auch das soll später immer mal wieder geschehen, man kann z.B. die Pleite von Thomas Cook vs. das gute Abschneiden des Konkurrenten TUI sehr schön damit erklären. Aber ich werde auch immer mal wieder aus meinem Arbeitsalltag berichten, welche Phänomene gut dazu passen und wo man evtl. Anpassungen vornehmen müsste. Ausserdem werde ich mir hier und da auch erlauben ein paar launische Alltagsbeobachtungen darauf zu mappen, z.B. die mich rasend machende Gier der Menschen Konzerte mit Ihrem Smartphones aufzuzeichnen. Zunehmend auch in klassischen Konzerten. Und natürlich möchte ich mich – soviel es die Zeit eben zulässt – immer mal wieder mit aktuellen Theorie-Beiträgen dazu auseinandersetzen, und versuchen diese in Beziehung zu setzen. So z.B. den Vortrag von Michael Seeman zum digitalen Kapitalismus, den ich oben schon nannte. Denn die Phänomene, die er beschreibt passen hervorragend zum obigen Bild – durch die Verschiebung unseres Lebens in den digitalen Layer werden bestimmte Dinge provoziert, Eigentum wird unwichtiger (und eher durch Daten, Algorithmen und Verwertungs/Zugriffsrechte definiert), anstelle des “normalen” Marktes entsteht eine Art Hyper-Markt (dynamic pricing, Daten ersetzen Geld) und generell übernehmen die intangibles, also die symbolischen Ableitungen der realen Dinge (und deren Ableitungen) die Herrschaft was ganz neue Dynamiken erlaubt. Ich habe mich ja schon früher sogar hier im Blog dazu ausgelassen, wie es möglich sein kann wichtige Dinge aus dem realen Layer rüberzuretten in den digitalen, z.B. Solidarität. Auch das würde ich gerne weiterführen. Ach, und um noch ein bisschen trashig zu enden – ich möchte sogar Denkübungen aus dem Verband mit einbeziehen, für den ich im Präsidium bin. Da werden nämlich manchmal ungewöhnlich gute Papiere veröffentlicht – eines davon traut sich z.B. die bescheuerte Idee des “Daten-Eigentums” frontal anzugehen. Insgesamt ein spannendes Phänomen, denn ich halte das für einen Verteidigungskampf der realen gegen die digitale Sphäre. In dieser ist das Konzept des Daten-Eigentums eine absurde Idee, etwas das dem ganzen System zuwiederläuft. Worin ein spannender Gedanke liegen könnte…

*auch das sollte in einem zukünftigen Post mal behandelt werden. Ich könnte jetzt sagen, dass ich schon 2012 in einem Artikel in der FAZ gewissermassen Cambridge Analytica vorausgesehen habe usw. – aber eigentlich ist es eher so, dass ich das Aufkommen einer neuen Gänseblümchen-Art gemutmaßt hatte, und dann kam eine Dampfwalze. Egal, wie Digitalisierung Politik verändert, bzw. warum die repräsentative Demokratie gerade so sehr unter Druck ist (sie ist ja eine Art Vorläufer dieser Abbildungs-Idee) sollte man sich auch mal anschauen…

**ich möchte diese Verbindung von “privat” und “beruflich” hier ganz bewusst unscharf lassen (daher das logo nicht entfernt). Denn es ist tatsächlich diese Mischung aus Arbeitskontext und privatem Nachdenken, die ich für ein Feature in meiner Position halte. Es gibt bessere und belesenere TheoretikerInnen, ohne Zweifel. Ich versuche meine Stärke darin zu finden auf eine leicht schmutzige Weise berufliche Erkenntnisse aus vielen Kundengesprächen, Fachkonferenzen und Digitalisierungs-Projekten mit theoretischen Überlegungen und Sachen die ich auf der re:publica oder anderswo höre zu vermischen.

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One Response to “Wie funktioniert die Digitalisierung? [Teil1]”

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