Wie soll es jetzt überhaupt weitergehen?
Sprachlosigkeit ist eine denkbar schlechte Ausgangslage. Aber irgendwie muss und will man auch was sagen zu diesem Verlust, man weiß, die Tage sind nun endlich, die das noch zulassen – gibt es nicht irgendeinen indianischen Ritus wo 40 Tage nach dem Tod eines Menschen nochmal gefeiert wird, ausgelassen? Irgendsowas.
Was in den vielen Nachrufen komischerweise nie erwähnt wurde, soweit ich bisher sehen kann, ist sein Büro in Frankfurt. Ein magischer Ort. Mit einer Wächterin davor, die in vielfacher Weise den Zugang zu „FS“ regelte, der schon seit langer Zeit auf Emails einen Autoresponder reagieren liess, mit der Auskunft er sei „zur Zeit nicht erreichbar“, „in dringenden Fällen“ möge man sich an xy wenden (allein schon dieses Detail, dass ausgerechnet er seine emails grundsätzlich von einem Bot beantworten lässt). Drinnen eine wirre Höhle, ein Mischung aus Gelehrtenstube, Ort eines Besessenen (überall lagen aufgeschlagene Bücher, Stapel von Zeitschriften, historische Bücher usw.) und Corbusier-Sitzecke, diverse Büsten (so zumindest in meiner Erinnerung) und historische Gegenstände, Bücher über Bücher, Dunkelheit. Und da lädt er einen ein und spricht 2h über Algorithmen und Journalismus. Das war wie ein Rausch.
So viel aufrichtiges Zuhören und Interesse und gleichzeitig Leidenschaft im Vorantreiben der kümmerhaften Ideen und Einwürfe die man vorzubringen in der Lage war, das war unglaublich, inspirierend, klar, fordernd und weit über alles mögliches hinausweisend irgendwie, dabei trotzdem verbindlich, warmherzig. Ich war ja leider eh ein Fanboy seiner Zeitung, wie mir bald auch klarwurde wirklich SEINER Zeitung, denn so viel von dem was man am Feuilleton der FAZ und dem Projekt der FAS tollfinden konnte ging vermutlich ganz oder in weiten Teilen auf sein warmes und leidenschaftliches Herz zurück…
(allein diese mail – NIEMAND interessiert sich für ‘predictive targeting’, schon gar nicht ‘sehr’. Schon gar nicht der Herausgeber der FAZ. Aber er tat es wirklich.)
Als wir da saßen, sprachen wir auch über das Verhältnis von Empfehlungsalgorithmen und dem redaktionellen Prinzip der Empfehlung, Serendipity included, also der Art wie Redakteure und Journalisten Inhalte zu einer Zeitung zusammenstellen, so dass es eben mehr ist (viel mehr) als „andere haben das gelesen“. Aber er machte es sich ja nicht so einfach zu sagen die Algorithmen seien zu blöd – nein, wir sprachen über die Notwendigkeit kuratierter Algorithmen, die menschliche Intelligenz (also den Redakteur) mit der maschinellen Intelligenz verknüpften um daraus neuartige digitale Services zu entwickeln, die die Qualität einer guten Zeitung (bzgl. Kuration und Inhalt) mit der Skalierungsfähigkeit und überhaupt den Qualitäten guter Algorithmen (ja, daran glaubte er auch) verbinden würden. Dabei sprachen wir übrigens auch über eine spezielle Ausgabe von „Technik und Motor“, die einige Wochen vorher erschienen war und sich auf einer ganzen Seite mit Spielzeugkränen beschäftigte – für mich ein schönes Beispiel dafür, welche verrückte Qualität Zeitung haben kann und wie weit die FAZ das bisweilen ausloten konnte.
Und natürlich sprachen wir auch über die Bedrohung hinter den Algorithmen, das hat ihn natürlich zutiefst beschäftigt, allerdings auf eine neugierige, offene Art – ein wenig anders, als es jetzt vielfältig dargestellt wurde, und zugegeben auch anders als es in der FAZ in den letzten Monaten so rüberkam.
Als ich dann in Venedig am Gepäckband stand und mir spontan die Idee kam einen Text über Algorithmen-Ethik zu schreiben schickte ich ihm – noch am Band stehend – eine kurze mail mit der Frage, was er davon hielte. Innerhalb weniger Sekunden kam die Antwort von seinem Autoresponder. Nochmal ein paar Sekunden später ein Einzeiler von ihm mit der Aufforderung, den Text zu machen. Dann, als er im Blatt war (Gott war ich stolz) ein paar Tage später wieder eine einzeilige mail „War ein phantastischer Text.“
Wie er mit mir kleinem Licht umging und mit welcher Begeisterung er in unserem Gespräch dabei war, aber auch bei Textideen später, das hatte was von einem warmen Wahnsinn, ganz wie sein Büro übrigens das auch ausstrahlte. Und es war so inspirierend und beeindruckend.
Lieber Herr Schirrmacher, ich weiß noch immer nicht, wie ich es ausdrücken soll, was jetzt alles fehlt, und wie sehr einem das die Kehle zuschnürt. Das ist im Prinzip völlig uferlos. Aber ich bin zutiefst dankbar einen kleinen Ministrahl eines warmherzigen, genialen, verzweifelten und so nah am Wahnsinn operierenden Menschen abbekommen zu haben – übrigens nicht mal nur durch diese eine kleine Begegnung, nein, sondern zuvor schon jahrelang durch ein exzellentes Feuilleton, das schon lange bevor Sie sich dazu bekannten oft die klügsten linken Positionen gegen die erzkonservativen Blattkollegen formulierte, das unglaublich vorausschauend eine kluge netzpolitische Debatte aufzog (im Feuilleton!!), die klügsten Beiträge zur Finanzkrise brachte (im Feuilleton!), das lange Zeit die beste Medienseite der Republik hatte und überhaupt. Man kann es nicht beschreiben.