Category: Politik


Warum es eben doch (auch) eine twitter-Revolution war

February 11th, 2011 — 10:01pm

Seien wir doch ehrlich – es ist auch unsere Revolution heute in Ägypten. Nicht, weil wir uns eingemischt hätten, oder unsere Politiker zu irgendwas bewegt hätten, mitnichten. Nein, ich denke es ist irgendwie auch unsere Revolution, weil sie mit twitter und Facebook funktioniert hat, und befeuert wurde. Klar wird das viel relativiert, und wahrscheinlich stimmt es auch nur hier und da. Aber wir glauben doch daran. Dass wirklich etwas Neues entsteht, eine neue Art sich zu vernetzen, zu organisieren und Begeisterung für etwas auszulösen. Es kann sogar Millionen Menschen auf die Strasse bringen für eine Sache, selbst unter Gefährdung Ihres Lebens. Und bei allem Leugnen und Relativieren – wir wissen doch tief in uns drin, dass twitter und Facebook eine zentrale Rolle gespielt haben. Sicherlich praktisch bei der ersten Mobilisierung, der Verbreitung der fürchterlichen Nachrichten von Selbstverbrennungen und der Ermordung eines Bloggers, der von Sicherheitskräften aus dem Internet-Cafe gezerrt und totgeschlagen wurde. Wahrscheinlich haben die Leute aber auch telefoniert und miteinander gesprochen, klar. Und die klassische Berichterstattung – insbs. über Aljazeera – hat sicherlich auch eine grosse Rolle gespielt, auch klar. Aber wir wissen, dass es eben doch auch und vielleicht vor allem eine twitter und Facebook-Revolution war. Weil wir es in uns selbst spüren, welch fundamentalen Wandel diese tools auslösen. Nicht nur, dass wir keine Zeitung mehr lesen und statt tatort, tatort+timeline kucken und es tausendmal amüsanter finden als je zuvor. Nein, vor allem die sozialen Funktionen von twitter und co sind unfassbar stark. Man vernetzt sich mehr, kriegt mehr voneinander mit. Vor allem aber findet man viel effizienter und spielerischer Gleichgesinnte und bleibt mit diesen in Kontakt. Ich meine – was mussten wir früher im Studium zum Beispiel für einen Aufwand dafür treiben, um gute Leute kennenzulernen? Abend für Abend in dämlichen Kneipen rumhängen, trinken, rauchen und jedes 10te mal war mal ein kurzer spannender Gesprächsfetzen mit irgendjemandem dabei. Dann hat man sich auch wieder aus den Augen verloren. Oder zum Unisport gehen, ganz schlimm. Zu den Medizinerparties. Beim Asta mitmachen oder in der Fachschaft. Da hing man dann und verpflichtete sich für monatelange Selbstverwaltungs-Sinnlosigkeit, nur um auf diesem Wege mit höherer Wahrscheinlichkeit ein paar auch Engagierte zu treffen, und mit denen etwas zu bewegen. Manchmal musste nur einer hinzukommen, und alles war schon wieder im Eimer. Also wieder in die Kneipen. Und so weiter.

Und dann in Kontakt bleiben. Ortswechsel. Telefonieren, gelegentlich sehen. Insbs. bei uns Typen heisst das doch in 99% der Fälle aus den Augen verlieren. Und selbst wenn man ein bisschen in Kontakt bleibt, heisst es einmal im Halbjahr sprechen, Klassentreffen usw. – erbärmlich. Getoppt wird es nur noch von dem, was passiert, wenn man dann in Arbeitsleben eintaucht oder gar Kinder bekommt. Sozialer Stillstand. Die Leute, die man dann noch kennenlernen kann, kommen meist aus extrem gefilterten sozialen Situationen, also Arbeitsplatz und Kita. Da kann man auch Glück haben, aber die Wahrscheinlichkeit dann noch jemand zu finden der politisch denkt wie einer, der einen ähnlichen Humor und Geschmack hat und vielleicht auch Adorno toll findet ist einfach mechanisch schonmal fast gleich null.

Und jetzt kommt twitter (und ein bisschen Facebook, ich finde aber twitter den mit Abstand besseren Service für das hier). Ich weiss, dass es vielen so geht, deshalb traue ich mich einfach mal das zu unterstellen. Twitter ist eine kleine soziale Revolution, selbst ohne Diktatur und mit dem Biobäcker um die Ecke. Spielend leicht Leute kennenlernen (selbst für absolute Telefon- und Smalltalkmuffel wie mich). Abchecken ob die interessant sein könnten, einmal Timeline kucken, followen, paar Tage beobachten und vielleicht mal ein Reply. Die Kennenlerntiefe, die man damit erzielen kann ist über normale Wege – also z.B. Kennenlernen auf einer Party oder im Fussballverein – manchmal nach Monaten oder gar Jahren erst erreichbar. Einfach weil man viel mühevoller etwas preisgibt von sich und vielleicht Jahre neben jemandem herarbeitet der eigentlich ein grossartiger Typ ist – allein man hat es nie gemerkt. Es gibt wirklich zahllose Stories auf twitter, wo Leute andere kennengelernt haben und begeistert darüber waren (wechselseitig und auch nach Treffen in RL). Wir selbst sind z.B. in unserem Heimatort Köln mal ein Päarchen besuchen gefahren die wir nur über twitter kannten, noch nicht mal unter Realnamen. Wir wussten einfach nur die Adresse. Sind hingefahren und es war ein wunderschöner, spannender Nachmittag. War ja auch klar. Wir kannten uns schon. Wussten, dass wir uns lustig und interessant finden, ähnliche Einstellungen haben usw. – das ist verdammt nochmal auch eine Revolution!

Aber zurück zu Agypten. Darum glauben wir, dass es eine twitter- und Facbeook-Revolution ist. Weil wir wissen, dass da eine Generation von komplett anders vernetzten und aktivierbaren Menschen heranwächst. Und weil es irgendwie allen langsam dämmert, dass das ein unglaubliches politisches Potential entfalten kann.

Als die Mubarak-Schergen über den Tahir-Platz eingefallen sind und auf twitter die Meldungen einprasselten von Schüssen, Molotow-Cocktails die in die Menge geworfen wurden und den ersten Toten war ich wie Ihr alle auch verzweifelt und unfassbar wütend. Wütend natürlich auf die Wichser dort, aber auch auf die westlichen Regierungen, die es versäumt hatten die Demokratie-Bewegung frühzeitig durch klare Statements und Diplomatie zu stützen. Ich musste kurz unter die Dusche, mich hielt es dort aber kaum, dann ging ich raus, trocknete mich kurz ab und nahm das iPhone um einen tweet an Obama zu schreiben. Keine Sorge – ich glaube jetzt nicht da was bewirkt zu haben mit meinem tweetchen. Aber eine Sache war trotzdem bemerkenswert. Ich hatte das Gefühl mich irgendwie einklinken zu können, bis hin zum pot. Gelesenwerden irgendeines Social Media Beraters der Obama-Administration. Gelesenwerden der Leute in Ägypten, die durch die tausenden anderen, die ähnliches taten wie ich merkten, dass wir bei ihnen waren, mitgefiebert haben, uns empört haben. Das war faszinierend und plötzlich ein Gefühl, dass ich viele Jahre nicht mehr kannte – im Prinzip seit den Demonstrationen gegen Wackersdorf.

Also wenn Ihr mich fragt – es ist auch eine verdammt geile InternetFacebooktwitter-Revolution die wir da sehen. Und das ist deswegen so geil, weil es so viel Potential hat überzugreifen und nicht mehr wegzugehen. Und das macht mich heute auch glücklich.

7 comments » | Netzpolitik, Politik, twitter

Liebe SPD…

September 26th, 2010 — 9:26am

…heute rufst Du deine Mitglieder in Berlin zum Bundesparteitag zusammen. Unter anderem wollt Ihr darüber sprechen, wie man die sog. “Integrationsverweigerer” stärker massregeln kann als das bisher geschieht.

Ach SPD. Ich verstehe schon. Sarrazin verkauft sein Buch wie geschnitten Brot und ein paar Marktforscher haben Euch gewarnt, Ihr könntet Zustimmung verlieren, wenn Ihr ihn ausschliesst. Da seid Ihr ein bisschen vorsichtig geworden – man will ja den Aufwärtstrend nicht leichtfertig verspielen. Und im Prinzip hat er ja recht, gell? Halt ein bisschen unglücklich formuliert hier und dort. Könnte man die offensichtliche Zustimmung in der Bevölkerung nicht sogar geschickt nutzen und für weiteren Rückenwind sorgen? Einen Versuch wäre es wert.

Oh wie falsch bist Du unterwegs damit SPD – Du kannst Dir gar nicht vorstellen, wie sehr Du schon wieder anfängst Deine Seele zu verraten und Deine Freunde zu verschrecken.

Gibt es wirklich nur den Weg der Selbstaufgabe vor dem Pöbel? Der Anbiederung an Mehrheitstrends?

Continue reading »

2 comments » | Politik, Uncategorized

Eure Wohltätigkeit kotzt mich an

January 30th, 2010 — 7:16am

Ich muss das mal loswerden – habe irgendwie den Eindruck, dass das Stiftungs-, Spender und Wohltätigkeitswesen wohlhabender Herren (ja sind halt meist Herren) in letzter Zeit nochmal signifikant zugenommen hat. Bill Gates will sich nur noch der Entwicklung von Impfstoffen widmen mit seiner Stiftung, Hasso Plattner fördert Fussballvereine und Bio-Tec Unternehmen, der Ex-Porsche Boss spendet einen Teil seiner aberwitzigen Abfindung für soziale Stiftungen usw.

Meist wird das von der Presse dann gerne aufgenommen und mit Vorliebe als unglaubliche Grosszügigkeit dargestellt der man eigentlich als Gesellschaft (und ehemals kritische Presse) nur mit tiefer Dankbarkeit begegnen kann.

Jetzt ist es sogar so, dass ich Bill Gates tatsächlich verehre – er hat ein Zeitalter wie kein anderer geprägt das ich in keinem Teil missen möchte, auch nicht die Bluescreens und Nächte der Optimierung des konventionellen Speichers.

Und natürlich ist es lobenswert und gut die Entwicklung von Impfstoffen mit privaten Geldern voranzutreiben. Ich kann mir sogar vorstellen, dass es bei weitem besser und effizienter funktioniert als wenn eine Regierung oder eine Organisation mit dem gleichen Geld dieses Ziel verfolgen würde.

Dennoch kotzt es mich unglaublich an.

Und zwar einfach weil es skandalös und absurd ist, dass ein Mensch so viel Geld auf sich vereint. Zumindest so lange auch nur ein anderer auf der Welt an Hunger leidet, ein Kind an einer heilbaren Krankheit stirbt oder eben jemand mit einem Medikament überleben könnte das er sich nur leider nicht leisten kann.

Und wenn diese Herren dann das schlechte Gewissen packt oder sie schlicht nicht wissen wo das ganze Geld hin soll dann sollen sie es spenden, ok. Aber bitte nicht erwarten, dass wir das irgendwie grossartig finden oder sie für Wohltäter halten. Die sollen einfach froh sein, dass es ihnen nicht abgenommen und ordentlich verteilt wird.

Denn zusätzlich zur Tatsache, dass es weder Bill noch Melinda Gates zusteht sich mit Ihrem zusammengerafften Geld als die Retter der Menschheit aufzuspielen finde ich die Tatsache schlicht unerträglich, dass es einem postpubertären Computerfuzzi obliegt für welche Krankheit nun forciert Impfstoffe entwickelt werden und welches Land die Gnade erfährt diese zu bekommen.

Wie gesagt – nichts gegen Bill Gates. Er soll seinen Wohlstand haben und von mir aus an jeder Wand zehn vernetzte Bilderrahmen die seine private digitalisierte Picasso-Sammlung zeigen. Geschenkt. Aber ob ein Kind in einem Slum in Nigeria einen Impfstoff erhält oder nicht kann einfach nicht im Wohltätigkeitsermessen dieses Mannes liegen.

Natürlich geht es dabei nicht nur darum wer das Geld verwaltet und entscheidet wo es eingesetzt wird. Meiner Ansicht nach gehört das Geld einfach nicht da hin.  Dieses Geld gehört – und zwar nicht als Spende oder irgendwiegeartete Wohltätigkeit – in die Hände eines demokratisch gewählten Staates der es für die Entwicklung von Impfstoffen, Entwicklungshilfe oder in Gottes Namen Strassenbau einsetzen soll.

Wie das genau gehen soll weiss ich nicht, Steuern, gesetzliche Gehaltsbegrenzungen oder was auch immer. Ich bin mir aber sicher – wenn es einen gesellschaftlichen Konsens gibt, dass wir so eine Geldverteilung ablehnen werden sich Mechanismen finden die immer noch genügend wirtschaftliche Dynamik und Möglichkeit persönlichen Erfolgs zulassen.

Ach und von der Presse, also dem Qualitätsjournalismus wie man ja derzeit zu sagen pflegt würde ich mir manchmal ein bisschen mehr Reflektion in diesem Sinne wünschen. Muss ja nicht jedesmal ein gesellschaftspolitischer Exkurs sein. Aber einfach nur PR-Abteilung für das schlechte Gewissen dieser Herren zu sein ist auch arm, oder?

Nachtrag: Es gibt einen weiteren Aspekt, der die Sache nochmal verschlimmert. Stiftungen werden ja zusätzlich heftig vom Staat – also durch Steuermittel – subventioniert. D.h. die private Wohltätigkeitswillkür der Herren entzieht sich nicht nur der staatlichen (und damit demokratischen) Kontrolle, sondern der Staat verschiebt sogar die Grenze nochmal bewusst in diese Richtung. Sehr schön dargelegt in einer Sendung des Deutschlandradios vor kurzem.

8 comments » | Politik

Back to top