Ich habe gestern Abend noch vor dem Einschlafen ein Toast mit Nutella gegessen – gar nicht gut für meine Linie. Aber meine Seele verlangt momentan danach. Denn die aktuelle Kriegs-Angst ist schon enorm, natürlich unter der Oberfläche, aber sie speist sich aus verschiedenen Quellen.
Zum einen ist da natürlich mein Aufwachsen in den 80er Jahren. Ich bin manche Nacht schlaflos in der Küche gesessen und habe mich von meiner Mutter beruhigen lassen wegen der Angst vor einem großen Atom-Krieg. Diese Angst war ubiquitär und gigantisch, fast schon ins Absurde. Aber gleichzeitig war ja alles ruhig, der Wohlstand mehrte sich und es erschien irgendwie abstrakt. Wie groß diese Angst war zeigte sich für meine Generation eigentlich erst als Gorbatschow mit seiner Perestroika kam und der kalte Krieg zuende ging. Das war so großartig, spätestens mit dem Fall der Mauer und der immer besseren Annäherung und dem Abbau der Atom-Sprengköpfe schien denkbar, dass diese fürchterliche Sorge auf den Müll wandern könnte. Aber sie hat trotzdem meine Kindheit und Jugend geprägt.
Die andere Schicht liegt tiefer und hat auch mit meiner Mutter zu tun – da geht es eher um ein vererbtes Kriegs-Trauma. Denn sowohl meine Mutter (Jahrgang 1937) als auch mein Vater (Jahrgang 1933) haben den Krieg als Kinder erlebt. Sie haben nicht viel davon erzählt, aber es gab ein paar Geschichten, die immer mal wieder hochkamen und uns zig-fach erzählt wurden. Der Vater wurde in Stuttgart mehrfach ausgebombt, ist öfter mit der Mutter im Bombenhagel in den Bunker die Straße hochgerannt und hat nach den Bombardierungen Berge von Leichen gesehen, die auf den Straßen lagen. Die Mutter ist aus Breslau geflohen und musste auf der Zugfahrt mehrfach bei Flieger-Beschuss unter die Bank kriechen. Ein Zugteil wurde von einer Bombe getroffen und weggesprengt.
Die Details sind eigentlich egal und machen einen nur fertig. Das Muster ist aber wichtig – wir wurden einfach von einer Generation von Kriegs-traumatisierten Menschen aufgezogen. Das Schuld-Trauma Teil der Nazi-Diktatur gewesen zu sein kam da nochmal on top.
In der Psychologie weiß man inzwischen, dass sich solche traumatischen Erfahrungen seelisch vererben können – ja dass die zweite Generation sich mit diesen sogar eher noch mehr herumschlagen muß als die, die das Trauma unmittelbar erfahren hat (für die ist es meistens zu groß um überhaupt in die therapeutische Bearbeitung zu gelangen).
Was ich inzwischen weiß ist, dass meine Mutter verschiedene Verarbeitungs-Strategien hatte, die ihr Seelenheil halbwegs abgesichert hatten. Manche davon waren auch einfach ein Feiern des Überlebens und der Freiheit glaube ich. Alle Arten von Süßigkeiten zum Beispiel – ihr absolutes Highlight war Nougat-Schokolade von Ritter-Sport. Aber auch Nutella und Konsorten. Es ist Seelen-Nahrung.
Macht es Diät-mäßig nicht besser, ich weiß schon. Aber wir haben aktuell wieder Zeit wo wir es schaffen müssen mit dieser Angst umzugehen ohne wahnsinnig zu werden. Und anders als meine Eltern ist meine Generation aktuell halbwegs am Hebel, wir sind keine Kinder. Wir können dafür Sorgen dass der Krieg beendet und eingedämmt wird. Wir können Menschen auf der Flucht aufnehmen und versorgen. Wir können den Klimawandel bekämpfen, auch das eine große Quelle der Verunsicherung und Angst. Ab und zu ein Nutella-Toast ist ok finde ich, aber das andere sollten wir auch tun.
Grüße an meine Mutter, ich hoffe im Himmel gibt es Berge von Nougat-Schokolade.
PS: und natürlich ist mir meine Angst überdies auch noch ein bisschen peinlich, weil ich ja top angst-privilegiert bin und andere Menschen gerade wirklich um ihr Leben oder das Ihrer Liebsten fürchten müssen.
In der Psychologie gibt es ein Prinzip, das auf die Freudsche Theorie des Unbewußten und vor allem die der Verdrängung zurückgeht, und das geht so: Wenn Dein Gegenüber heftig reagiert solltest Du genauer hinschauen, meistens ist das sogar dann ein guter Hinweis, dass etwas noch viel größeres dahinter steht, das eben dieses Ausmaß an Abwehr erfordert.
Gemessen daran stehen wir vor einer großen Crypto-Revolution, die kaum einen Teil unserer Gesellschaft außen vor lassen wird.
Und, Spoiler: das glaube ich wirklich. Nur etwas anders, als viele vielleicht vermuten.
Ich will nicht groß auf die Abwehr-Front eingehen, aber es ist trotzdem bemerkenswert, sich die mal kurz anzusehen – das kann man ja auch leicht selbst machen. Was aber schnell auffällt ist die Gewalt und das Ausmaß der Wut, das da viele offenbar zu treiben scheint – was angesichts der Überschaubarkeit des Phänomens schon bemerkenswert ist. Egal ob Michael Seemann sinniert, man könne die komplette Neo-Nazi Bewegung durch Unterbinden von Crypto-Tokens austrocknen oder ob Patrick Beuth vom “Internet, das es zu verhindern gilt” spricht – klein und diskurs-offen scheint gar keine Option zu sein. Der Atlantic hat eine schöne Analyse dazu verfasst, warum die Crypto-Gegner offenbar so wütend sind. Generell sollte man in Deutschland bei Hass gegen Aspekte der Digitalisierung auf jeden Fall immer lieber zweimal hinschauen.
Aber das lohnt sich sowieso bei den Crypto-Themen aktuell, und ich will meine hoffnungsvolle Haltung gleich mal näher erläutern. Eine Sache aber noch vorweg, was ist eigentlich “Crypto” und “Web3” – also mal ganz konkret?
Es ist tatsächlich erstmal was das Wort auch nahelegt – ein neuer kryptographischer Layer, ein neuer Ansatz im Netz, der nochmal deutlich stärker auf Kryptographie setzt als bisherige Technologien. Also ganz konkret – in meinem Browser hier oben, wo ich gerade schreibe, befinden sich mehrere Icons (s.u.) die jeweils eine sog. “Wallet” repräsentieren. Eine Wallet ist hier gar nicht so sehr ein Tool des Turbo-Kapitalismus, sondern vielmehr der Zugang zu einem kryptographischen Key-Pair, also einer Kombination aus einem privaten und einem öffentlichen Schlüssel, die ich für mich erstellt habe. Die Technologie dahinter stammt aus dem 70er Jahren des letzten Jahrhunderts und hat sich bis heute praktisch überall in der IT etabliert zum Austausch sicherer Informationen, z.B. im Online-Banking, bei sicheren Internet-Verbindungen, bei der Fernwartung von Kraftwerken usw.
“Crypto” heisst also erstmal, dass wir eine nutzerfreundliche Möglichkeit gefunden haben, diese sehr gut erprobte und sehr verlässliche Technologie in meine Browser-Zeile zu bekommen. Zwei der Icons in meinem Browser zeigen zu Wallets im engeren Sinne, also solchen wo ich Crypto-Coins speichern und traden kann, zwei andere zeigen auf weltweit verteilte Dokumenten-Speicher-Systeme, die eher den Zweck erfüllen, einen dezentralen Speicher für Dokumente, Bilder usw. zu verwenden.
Mit diesen Wallets kann ich nun bestimmte kryptographische Operationen ausführen, denn ich kann mit meinem privaten Schlüssel Vorgänge autorisieren, die von der Gegenstelle anhand meines öffentlichen Schlüssels verifiziert werden können. So ist es z.B. möglich sich mit der Wallet in eine Website einzuloggen. Das faszinierende dabei ist, dass die Website mir auf diesem Weg einen Zugang zu geschützten Bereichen erlauben kann ohne dass ich dort überhaupt einen Account anlegen müsste. Meine Wallet dient also als Zugangs-Account, den Schlüssel um mich “auszuweisen” verwalte ich aber selbst. Damit ist der Zugang sehr datenschutzfreundlich und auch relativ sicher, denn wenn ein Hacker oder eine Hackerin die Website hacken würde, gäbe es kein password von mir zu finden dort, das liegt nur bei mir in der Wallet (und im Falle einer sog. “cold-wallet” sogar sicher auf meinem Schreibtisch statt irgendwo auf dem Rechner). Viele der Probleme zentraler Architekturen – nicht nur das Hacking-Risiko – ließen sich damit theoretisch geschickt umgehen, einfach indem man viel mehr auf kryptographisch abgesicherte dezentrale Infrastrukturen setzt. Auch soziale Netzwerke ließen sich damit ganz anders organisieren (gibt es ja auch schon in Ansätzen).
Damit sind schonmal die Grundzüge des Web3, des “dezentralized web” beschrieben. Dessen Idee ist nämlich, dass es viele solche dezentralen Websites und Dienste gibt, und die Menschen sich mit Ihren Wallets und pseudonymen Identitäten dort bewegen und in Interaktion treten. Zusätzlich gibt es dahinter ein ebenso kryptographisch gebautes Netz von Blockchains – das sind verteilte Speicher, die meist vor allem Transaktionen für alle einsehbar speichern und fortschreiben. Meine Wallet ist jeweils mit so einer Blockchain verbunden und kann dort Dinge auslösen, also z.B. ein digitales Asset von mir auf jemanden anderen (eine andere Wallet) übertragen. Das kann eine digitale Währung sein oder auch ein anderer “Coin”, also ein kryptographischer Repräsentant von irgendwas. Es gibt z.B. einen Klima-Coin, der verwendet wird um CO2 Einsparungen abzubilden. Es gibt Energie-Coins, die verwendet werden um Nachbarschafts-Strom zu verrechnen. Und es gibt sog. “non fungible coins/tokens”, die als NFT derzeit viel Aufregung verursachen, und als digitale Nutzungsrechte eines (häufig auch digitalen) Bildes verstanden werden können. Die Uffizien in Florenz geben z.B. NFTs ihrer Meisterwerke heraus um den Museumsbetrieb zu finanzieren (natürlich in der Pandemie entstanden). Die Idee limitierte Kopien von Kunstwerken herauszugeben, die von der Künstlerin oder einer anders autorisierten Person signiert sind, ist übrigens deutlich älter als “Crypto” – vermutlich hat fast jeder Zuhause irgendetwas an der Wand hängen, was aus so einem Prozess stammt.
Ok, das war ein kurzer Exkurs zum Web3 und von welchen Mechanismen wir da eigentlich reden. Und, ist etwas aufgefallen? Ich habe bisher noch gar nicht von flackernden Bildchen, “bored apes” und millionen-schweren Transaktionen für zweifelhafte Digital-Kunst gesprochen. Muss man eben auch nicht, das ist nur ein Seiten-Phänomen von Crypto aktuell.
Nun aber zum eigentlichen Punkt dieses Artikels, dem Grund warum ich eher hoffnungsvoll bin, was die mittelfristige Wirkung des aktuellen Crypto-Hypes anbelangt. Oder warum ich “daran glaube”.
Dafür sollte man die ganze aktuelle Aufgeregtheit mal beiseite legen und kurz überlegen, welche größeren Trends sich vielleicht in der aktuellen “Crypto-Entwicklung” abbilden.
Ich sehe da vor allem zwei – 1) die Digitalisierung und 2) das Zusammenbrechen des traditionellen Währungs-Systems.
Habe ja schonmal an anderer Stelle dargelegt, woher meiner Ansicht nach die Digitalisierung ihre starke Sogwirkung bezieht, und warum sie in so ähnlichen Mustern in unterschiedlichsten Ecken aktiv ist. Kurz gesagt: physische Dinge (im weiten Sinne, also Objekte, Vorgänge, Menschen usw.) werden digitalisiert, indem sie erstmal irgendwie in ihre jeweilige Daten-Repräsentation verwandelt werden. Das kann in Form eines Sensors mit Internet sein, über eine App oder manchmal auch indirekt. Sobald diese digitale Repräsentation da ist, fängt diese an sich zu vernetzen und digitale Beziehungen einzugehen, die davon profitieren, dass im Digitalen nahezu keine Transaktionskosten anfallen. Man kann also sehr sehr viele, sehr hochfrequente Beziehungen eingehen. Im nächsten Schritt wandern dann Prozesse aus dem Analogen in diese digitale Sphäre, also Geschäftsprozesse aber auch Freundschaften, der Gesundheits-Status bis hin zu seelischen Vorgängen oder “Gestalten”. Wer z.B. intensiv Google-Fotos nutzt und sich anhand von AI-gestützten Kategorien durch die Fotos wühlt, bekommt schnell eine Ahnung, was ich meine.
All das passiert gerade weltweit in ganz vielen Ebenen, in unterschiedlichen Geschwindigkeiten und hier und dort gegen unterschiedliche Widerstände. Ich bin mir übrigens auch nicht sicher, ob es gut ist oder in eine totale Dystopie mündet, aber ich bin fest davon überzeugt, dass wir es erstmal nicht werden aufhalten können (man muss sich nur die Menschen in der Straßenbahn anschauen, wie alle an Ihrem Smartphone hängen. Wir haben längst unsere Seelen dahin verkauft). Aber ich war auch immer schon Apologet der Digitalisierung und von der Möglichkeit überzeugt, dass es eben auch eine Utopie befeuern könnte, gerechtere Verteilung von Gütern, mehr soziale Bindung, mehr Chancen für alle, weniger Grenzen usw.
So, aber was spielt “Crypto” da für eine Rolle? Eigentlich ganz einfach, es scheint mir einfach ein nächster logischer Schritt in dieser Evolution zu sein. Die digitale Sphäre wird aktiver, es werden mehr Transaktionen dort hin verlegt und wenn ich mich mit meiner Wallet an einer dezentralen Börse wie Sushi-Swap anmelde um einen kryptographischen Stable-Coin zu tauschen und danach zu staken, dann ist das einfach ein ziemlich abgefahren digitaler Vorgang. Aber eben auch ein starker, gut kryptographisch abgesichert, hoher Datenschutz, pseudonym und irgendwie digital faszinierend. Wenn man mal kurz überlegt, wie wir die Klima-Krise in den Griff bekommen wollen und wie nachhaltige Wirtschaft in den nächsten Jahrzehnten aussehen wird kann man schon auf die Idee kommen, dass ein kryptographisches, dezentrales Netz mit gut abgesicherten aber starken “Nodes” eine wichtige Rolle spielen könnte. Einfach weil ich vll. dem Produzenten meines Kaffees auf diesem Wege direkt einen Ausgleich zukommen lassen kann nachdem er mir einen digitalen Produktions-Nachweis geschickt hat. Oder indem ich der afrikanischen Strom-Farmerin mit meinem Carbon-Coin die Energie(-Zertifikate) abkaufe, um die Badewanne aufzuheizen für heute Abend. Vielleicht gäbe es ja sogar eine Art virtuellen, als dezentrale autonome Organisation (DAO) organisierten Bio-Laden, bei dem ich nachhaltig gepflanzte Kakao-Bohnen ernten könnte…
Also: ich glaube “Crypto” steht nur für einen wichtigen nächsten Entwicklungs-Schritt des Internets und der Digitalisierung und es könnte eine gute Idee sein über den Trash hinwegzusehen, und den Blick auf das mögliche langfristige Potential zu lenken. Und übrigens: Als das Web in den Neunziger-Jahren zu laufen begann gab es viel Trash-Content, dubiose Angebote, viele gescheiterte total abgefahrene Unternehmen und ohne Ende verbranntes Investoren-Geld. Ich musste mehrfach Menschen aus dem Freundes/Verwandtschafts-Kreis von Porno-Dialern befreien und weiß, dass aus dem damit erwirtschafteten Geld schöne Villen in Südafrika finanziert wurden.
Und nun noch kurz zum anderen Punkt, dem möglichen Zusammenbruch des Geld-Systems. Zum Glück ist das nicht meine Theorie, sondern es gibt eine ganze Reihe kluger Menschen, Kulturwissenschaftlerinnen wie z.B. Christina von Braun, Autoren wie z.B. Thomas Ramge oder Ökonomen wie Stefan Heidenreich die schon seit längerem die These vertreten, dass das etwa 3000 Jahre alte Geldsystem vor einem fundamentalen Wandel, evtl. vor einer kompletten Ablösung stehen könnte. Und man muss nicht gro´ß überlegen um Belege dafür zu finden, dass dieses System zur Zeit irgendwie nicht mehr so richtig gut zu funktionieren scheint. Negativ-Zinsen, abstruse Derivat-Produkte, glühende Geld-Druckmaschinen und immer schärfer drohende Inflation. Hinzu kommen abgeleitete Dysfunktionalitäten wie die ausgestorbenen Innenstädte oder die insgesamt aus dem Ruder geratenen Geld-Ströme an die Super-Reichen, die dann als erratische Gut-Menschen-Spenden wieder zurückkommen.
Ich habe in einem kleinen Talk beim ADC kürzlich mal dargelegt, warum die Innenstadt von Venedig wieder mehr bewohnt sein könnte, wenn nicht mehr Geld in Wohnungen akkumuliert werden müsste:
Wie wäre es, wenn die Crypto-Coins auch schlicht ein weiterer Indikator dafür wären, dass wir an einem Folgeprojekt arbeiten müssen und ein neues System brauchen um Werte zu transferieren, zu speichern und gerecht zu verteilen? Wenn man sich z.B. mal genauer anschaut wie elaboriert und mathematisch faszinierend manche Stable-Coin Projekte daherkommen (z.B. Olympus DAO Ohm), dann kann man da schon ins Grübeln geraten. Vor allem aber könnte man sagen: oh, bevor wir das jetzt einfach in Grund und Boden bashen wäre es vll. ja auch interessant mal zu schauen, was daraus entstehen könnte? Wie könnte man diese neuen Technologien vll. nutzen, um ein paar der anstehenden Probleme zu lösen wie z.B. einen nachhaltigen globalen Markt für grüne Energie?
Na ja – mir ist schon klar dass man die Wut-Gemeinde damit nicht wird hinter dem Ofen vor-locken können. Aber wenigstens habe ich mal versucht zu erklären, warum ich an die Power von Crypto glaube, auch wenn ich nicht mal eine Fraction eines Bored-Apes in meinem Wallet habe…
Bin ausnahmsweise mal richtig beeindruckt von der Digitalisierung in Deutschland – und zwar konkret hier in Köln.
Positiver Corona-Test wird digital ans Gesundheitsamt gemeldet. Gesundheitsamt schickt noch am selben Tag eine mail mit weiteren Hinweisen und einem Einladungslink zu einem Portal für weitere Dokumentation – das sogar gut benutzbar ist und kein zwölfstelliges Passwort mit mindestens drei Sonderzeichen verlangt. Dort können Kontakte gemeldet, einschlägige Regeln nachgelesen und Symptome berichtet werden. Wenige Tage später dann begleitender Anruf vom GA. Der Mitarbeiter hat offenbar alle Daten aus diesem Portal vor sich, weiß aber z.B. auch schon dass ich 3x geimpft bin. Nach dem Anruf steht im Portal wie angekündigt (und wirklich unmittelbar danach) die Ordnungsverfügung zur Quarantäne zum Download bereit. In dieser Verfügung ist bereits ein personalisierter Link auf das Genesenen-Portal enthalten wo ich mir später mein EU-Genesenen-Dokument mit QR-Code herunterladen kann.
Das hat keine andere Stadt/Kommune in Deutschland so konsequent umgesetzt. Vergleicht das mal bitte mit den Prozessen zu Beginn der Pandemie. Großen Respekt dafür Stadt Köln! Ist übrigens auch aufgrund einer super vorbildlichen Kooperation von IT-Amt der Stadt mit Startups aus der Region gelungen, besonders hervorzuheben sicherlich Jan Kus von Railslove, die Kollegen von Sidestream und Frank Bücher, stellv. Leiter der städtischen IT-Behörde. So kann es gehen! Hoffe wir können diesen Spirit auch über die Pandemie hinaus bewahren.
Denn es gibt noch viel zu tun in der Digitalisierung der Verwaltung, aber auch bei vielen anderen Prozessen drumherum.
Und was ich schon immer gesagt habe bzgl. Startup-Förderung hat sich hier aufs beste bewahrheitet: das mit Abstand beste was man für ein Startup tun kann – egal ob man Behörde, Corporate oder irgendwer anderes ist, sind Aufträge. Real work. Zum einen trägt das wirklich viel direkter zur Substanz und dem Standing gegenüber Investoren bei. Zum anderen können wir auch wirklich was bewegen. Wenn es dann noch gelingt das smart in städtische Prozesse einzuphasen und die Behörde selbst ein bisschen Startup-Kultur pflegt kann sowas gelingen.
Ich muss häufiger meine Töchter durch die Gegend fahren, gerade jetzt in der Pandemie nochmal mehr als vorher. Zum Stall und zurück, zur Freundin, abends irgendwo abholen usw.
Natürlich ist das nervig und ich könnte mit meiner Zeit bessere Sachen anfangen. Aber für Eltern pubertierender Kinder kann das auch eine überraschend wertvolle Zeit sein, denn man verbringt ja eine meist recht entspannte, relativ intime Zeit mit dem eigenen Kind. Das sonst eigentlich kaum mit einem redet, und wenn dann eher in Stress-Situationen. Häufig reden wir aber auch bei Auto-Fahren nicht, beide Töchter (13 und 16) lieben es auch dann mit mir Musik zu hören, genaugenommen mich aus ihren Spotify-Konten über die Auto-Boxen zu beschallen.
Normalerweise läuft dann bei der 16-jährigen viel Deutsch-Rap, ab und zu mal etwas balladenhaftes (meistens er hat sie verlassen), hält sie aber meist nicht für einen ganzen Song aus. Sie singt viel mit und die Playlist wechselt häufig. Es ist interessant sich darauf ein bisschen einzulassen, denn es öffnet oft regelrecht ein Fenster in die Seele des eigenen Kindes. Gerade bei Deutsch-Rap funktioniert das gut, weil es halt sehr “textlastig” ist. Abgesehen von der Regel, dass ich nichts offensichtlich frauenfeindliches hören will (auch das ist übrigens eine spannende Regel, denn sie möchte natürlich vermeiden diesbzgl. ermahnt zu werden), ist erstmal alles erlaubt. Sie hört häufig Songs von Rapperinnen, die davon singen wie sie nun überraschend doch oben schwimmen, nachdem sie jahrelange Loser-Schulkarrieren hinter sich haben. Oder harte Love-Stories, meistens nach dem Muster “Babe & Gangster”. Aktuell z.B.:
(wie sehr das ins Innere geht kann man daran erkennen, dass sie an einem anderen Tag, als wir mal wieder über die Erfüllung von Schulpflichten stritten sagte, sie müsse überhaupt keinen Beruf erlernen, da gäbe es auch andere Möglichkeiten an Geld zu kommen…)
In diesen Momenten habe ich das Gefühl, dass sie ganz bei sich ist – es gibt einen starken Connect zwischen der Musik und ihrer Seele. Ist ja auch klar – gerade in diesem Alter ist Musik, also die Entdeckung des eigenen Musik-Geschmacks und das sich darin dann suhlen ein wesentlicher Teil der Selbst-Konstitution – nicht nur aus Ausdruck nach draussen, sondern auch als ein Formen nach Innen. Ich habe in dem Alter z.B. weinerliche Balladen von Chris de Burgh gehört – und wenn mein größerer Bruder mich da nicht Schritt für Schritt rausgeholt hätte, wäre ich heute vielleicht Versicherungsagent in Mannheim. Denn zu meiner Zeit formte sich der Musik-Geschmack durch Empfehlungen von Freunden, was man im Radio und in der Disko(!) hörte und bei Leuten wie bei meinem Bruder vll. auch noch was in der Spex oder dem Rolling Stone zu lesen stand. Oder in der Bravo. Wir hörten auch immer mal wieder heimlich die Hitparade (also ich zumindest), ich glaube daher kenne ich “kleine Taschenlampe brenn”.
Gestern fuhr ich sie mal wieder, da ragte aus dem Nerv-Rap-Wust plötzlich ein anderer Song empor, nämlich “Empire State of Mind” von Alicia Keys. Großartiger Song. Aber ich fragte mich, wie sie jetzt darauf kommt. Und fragte auch die Tochter (hatten noch ein paar km vor uns). War relativ schnell klar, denn natürlich kommt ein großer Teil ihrer Inspirationen aus den Empfehlungen von Spotify und in diesem Fall noch aus irgendeiner anderen Plattform (vermute “Insta”) – da hatte sie Videos über “coolen Lifestyle” geschaut – daher kam der Song. Und sicher sonst auch noch aus anderen Social-Media Quellen. Aber ebenso sicher nicht aus dem Radio, der Hitparade oder irgendwas auf Papier gedrucktem.
Jetzt könnte man sagen: so what, gibt halt neue Medien. Stimmt ja auch, aber es gibt schon einen wesentlichen Unterschied. Denn in den alten Medien waren die Musikempfehlungen menschengemacht. RedakteuerInnen, Musik-Freaks, Vorbands in Konzerten – alle Impulse die damals auf einen einprasselten hatten sich andere Menschen ausgedacht, mal intuitiv und manchmal auch aus Überlegung.
Meine Tochter aber wird groß mit einem Musikgeschmack, der ziemlich weitgehend von Algorithmen geprägt ist. Die natürlich keiner kennt und/oder versteht. Aber nach allem was man inzwischen so z.B. über den Youtube-Algorithmus weiß* oder auch den bei Facebook lässt erahnen, dass die einen durchaus ambitionierten Job tun und nicht etwa nur die populärsten Songs in der Kategorie Deutsch-Rap nach oben spülen. Viele der größeren Algorithmen-Buden beschäftigen sogar längst PsychologInnen, die versuchen die Computer mit aktuellem Wissen über die Funktionsweise unserer Seelen zu füttern. Übrigens mit relativ banalen Zielen, oft geht es schlicht darum, die Verweildauer in den Systemen zu erhöhen um mehr Werbung unterbringen zu können. Aber das funktioniert halt dann am besten, wenn man möglichst tief in der Seele andocken kann.
Auf der anderen Seite des Algorithmus geht es um viel – nämlich darum, mit welchem Selbst-Konzept, welchem Gefühl von sich selbst und mit welcher Leidenschaft ein Mensch groß wird, und sich innerlich konstituiert. Und das haben wir schon jetzt nahezu vollständig in die Hände von Algorithmen gegeben. Mir fröstelt ein wenig bei der Vorstellung, aber Chris de Burgh schwächt wiederum meine Position.
*in einer schönen Recherche (leider hinter paywall) wurde in diesem Artikel z.B. nachgezeichnet, wie sich einer der Erstürmer des Kapitols über eintauchen in Youtube über den Algorithhmus Schritt für Schritt radikalisiert hat…
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Seit 1h läuft der zweite Lockdown mit Home-Schooling und es ist schon wieder zum Verzweifeln. Viele (vor allem die ohne eigene Schulkinder) fragen sich vielleicht: was hat sich verändert in den letzten 10 Monaten (ja, so lange geht das schon), wie haben die Schulen sich auf einen möglichen erneuten Lockdown vorbereitet?
Und man kann sagen: sie haben schon. Ein paar Sachen haben sich wirklich verbessert, viele nutzen Moodle, viele haben sich ein paar Gedanken zum Material gemacht und verwenden hier und dort sogar interaktive Übungen anstelle von PDF-Uploads, häufig gibt es Konzepte für den Einsatz von Video usw.
Aber gerade war ich kurz im Zimmer von K3 um ihr ein Toast vorbeizubringen nach der ersten Stunde. Und fragte kurz, wie es läuft – schliesslich haben wir über die Tage Ihren Arbeitsplatz verbessert, einen Mini-PC angeschafft, eine bessere Kamera usw. – wollte einfach mal hören ob alles funktioniert und so. Sagt sie “ja, das funktioniert schon bei mir, aber die meisten kamen eh nicht rein und wir sollen sowieso nur ohne Kamera dran teilnehmen, sonst geht es gar nicht.”. Es gibt sogar Anweisungen der Schulen (auch bei K2) dass bitte die Kamera grundsätzlich auszubleiben hat**. DAS MACHT MICH WAHNSINNIG. Denn ich bin ja selbst in der selben Situation, meine Firma, meine Kunden, meine Investoren – alle nutzen Video-Konferenz-Systeme um die Sache am Laufen zu halten. Wir schalten uns gleich in 15 Minuten zur ersten Konferenz mit Google-Meet zusammen (alle mit Kamera an natürlich), sicherlich gibt es heute auch noch Schalten mit WebEx und natürlich Zoom, bestimmt auch die eine oder andere mit MS-Teams oder vielleicht Skype.
Bei den Schulen wird “Big-Blue Button” und “Jitsi” genutzt und vermutlich noch hier und da andere selbst-programmierte und aufgesetzte Lösungen.
Und jetzt verstehe man mich nicht falsch, ich bin ein großer Fan von Open-Source und habe immer schon einen wesentlichen Teil meiner Arbeit daraus und dafür bestritten.
Aber ich frage Euch: warum nutzen wir in unseren beruflichen Kontexten nicht Jitsi und BBB? Warum schaffen wir es Video-Konferenzen zu machen mit Kamera an? Wir arbeiten ja zu ähnlichen Zeiten wie die SchülerInnen und in der gleichen physischen Realität…?
Es ist lohnend sich mal durchzulesen, was die Philosophie von Zoom ist, woran die vor allem gearbeitet haben in den letzten Jahren. Kann es aber auch vorwegnehmen: es ist die Produkt-Qualität, die Stabilität, Verlässlichkeit und Nutzbarkeit des Service. Das hat mit Caching zu tun, einer gut skalierenden Server-Infrastruktur und vielen kleinen Details. Getrieben vom Anspruch dass NutzerInnen einer Video-Lösung diese verlässlich mit Video nutzen wollen, auch wenn es gerade viele andere tun. Und das funktioniert ja auch. Auch in der Corona-Krise wurde da massiv nachgerüstet und die Infrastruktur verbessert und ich muss sagen – die genannten Lösungen sind eher stabiler geworden, ausserdem reicher an Features in den letzten Monaten. Und auch besser im Hinblick auf den Datenschutz – auch im Vergleich zu den meisten europäischen Lösungen, mehr Infos dazu siehe hier:
Also warum bitteschön erlauben wir es unseren Kindern, unserem Bildungs-System nicht wenigstens mit vernünftigen Ressourcen in den Distanz-Unterricht zu gehen? Warum müssen die mit nicht ladenden Seiten, Kamera-aus per default und abstürzenden Servern kämpfen jeden verdammten Morgen?
Ach ja, Datenschutz. Sie können ja keinesfalls auf einem System beschult werden, das auch nur ein Byte auf einem amerikanischen Server vorbeigeschickt hat.
Und auch hier: es kann sein, dass diese Datenschutz-Diskussion geführt werden muss. ABER WARUM MÜSSEN DAS DIE KINDER AUSBADEN? Warum nutzen wir nicht erstmal Jitsi und BBB für unsere super wichtigen Business-Meetings, bis es läuft?
Mich fuckt es total ab, wie wir mit unserem Bildungs-System umgehen und wie das ein paar Leute zur Spielwiese ihrer Kontroll-Phantasien machen. Vor allem aber, dass wir den Kids etwas zumuten, was wir in unserer Realität nach 10 Minuten aus dem Fenster werfen würden. Einfach, weil sich niemand wehrt.
**und nur zur Sicherheit: eine Video-Schalte, wo alle Kamera aus haben per default, ist eine Audio-Schalte. Gerade bei den Kindern glaube ich, dass der Präsenz-Effekt durch die Video-Verbindung essentiell wäre um einen brauchbaren Distanz-Unterricht hinzubekommen.
PS: nur um es klarzustellen: ich habe auch gar nichts dagegen, wenn ein perfekt aufgesetztes, gemonitortes und gut skalierendes BBB im Einsatz ist. Fände ich sogar selbst besser. Aber das ist nicht der Fall.
PPS: Live-Update. Gerade nochmal mit ihr gesprochen. Heute ging auch Moodle an sich meistens nicht. Lehrer hat versucht ein Audio-File hochzuladen für eine gemeinsame Analyse. Liess sich nicht abrufen, moodle down etc. – jetzt hat er per mail ein Transkript geschickt.
Kurzes Update: die Varianz ist doch recht hoch. Einige Schulen – genaugenommen muss man sagen, einige LehrerInnen – gehen wirklich mustergültig mit der Situation um. Nutzen Nextcloud für die Arbeitspapiere, bieten Video-Chat an und senden kurze Video-Messages zum Tagesbeginn. Das sollte nicht unerwähnt bleiben, allerdings zeigt es natürlich auch ein Problem: dass es in hohem Maße dem Zufall überlassen ist in unserem aktuellen System, ob ein Kind eine Top-Betreuung erhält oder halt nicht…
Ich verstehe, dass die aktuelle Herausforderung schnell und ungeplant kam. Und man könnte jetzt lange drüber diskutieren, ob nicht lange schon gemahnt wurde, dass insbs. in Deutschland die digitalen Lehr- und Lernmöglichkeiten zu wenig genutzt werden. Das führt aber jetzt zu nichts. Trotzdem durchläuft unser Schulsysem gerade so einen Härtetest, was das digitale Lernen anbelangt – und es sieht nicht gut aus. Ich habe selbst zwei Töchter in der Schule, eine 10. und eine 7. Klasse. Und ich kenne viele Eltern, die jetzt auch mit Ihren Kindern zuhause sitzen, und den Drucker im Hochleistungsmodus laufen haben.
Denn bisher sieht es grob so aus – Abweichungen nach oben und unten gibt es natürlich: SchülerInnen und Eltern werden mit Emails überhäuft, nicht selten hängen da für ein Fach eine zweistellige Zahl von auszudruckenden PDF-Seiten dran. Wochenpläne, Arbeitsblätter, Checklisten, Verweise auf Buchseiten. Manchmal wird eine Möglichkeit angeboten Ergebnisse irgendwo hochzuladen, manchmal soll man die als Attachment schicken, manchmal wird auch nur gesagt die Arbeitsergebnisse könnten “später” irgendwann geprüft werden. Übrigens ist schon diese Massnahme mit etlichen Hürden gepflastert, denn weder haben alle SchülerInnen einheitliche Email-Adressen, noch überhaupt die LehrerInnen. Datenschutz und so, ausserdem – sorry wenn ich das jetzt doch mal kurz sagen muss – digitale Verpeiltheit und Ablehnung. Aber egal, das wollte ich ja gar nicht thematisieren.
Gleichzeitig switcht das ganze analoge Arbeitsdeutschland auf Video-Conferencing, nutzt kollaborative Software-Lösungen und es werden sogar ganze Workshops und Kennenlern-Meetings ins Netz verlagert. Christoph Keesse, der konservative Ex-Manager des Axel-Springer Verlages veröffentlicht auf LinkedIn (einer digitalen Vernetzungs-Plattform für Arbeitstätige) seine Learnings zum Arbeiten im Netz. Fazit: funktioniert besser als gedacht, es wird konzentrierter, authentischer (u.a. weil man die Urlaubsbilder im Hintergrund an der Wand sieht oder schonmal ein Kind durchs Bild läuft) und ergebnisorientierter. Man kann die Arbeit fortsetzen, auch mit Kollegen und die Qualität leidet noch nichtmal unbedingt. Ich bin mir sicher, das Fazit von Keese hätte anders ausgesehen wenn er seinen Kollegen Emails mit Attachments geschickt hätte.
Also, das muss besser werden in der Schule. Und falls sie jetzt sagen/denken “ok, beim nächsten mal müssen wir da vll. wirklich besser vorbereitet reingehen und ab dem Herbst dann doch mal eine AG zu Arbeiten mit dem Internet anbieten”: nein. Es muss jetzt passieren.
Denn der Shutdown wird vermutlich noch Wochen dauern. Und ausserdem: es ist auch eine große Chance, auch für die Schulen! Die Möglichkeiten und Tools sind da, es gibt Leute die helfen wollen, und es ist auch einfach nötig. Im aktuellen Modus laufen wir Gefahr, dass für die Kinder ein halbes Schuljahr verloren geht, und übrigens die Eltern treibt es auch in den Wahnsinn so.
Was könnte man besser machen? Nun, ganz einfach und Schritt für Schritt. Hier erstmal ein paar Anregungen/Bausteine:
Video-Konferenz: es sollte ein System geben, über das sich z.b. eine Klasse per Video zusammenschalten kann. Z.b. morgens um 9(!) Uhr für ein kurzes “Standup”.
Gemeinsame Datei-Ablage: in einem Dokumenten-Portal werden pro Klasse und Fach alle Arbeitsaufgaben, Pläne etc. einheitlich abgelegt. Nur da.
Gemeinsam Dokumente bearbeiten: einfach mal die ganze Klasse ein Thema auf einem geteilten Dokument im Netz erstellen lassen (z.B. mit diesem Service https://yourpart.eu/ )
Video-Sprechstunde: jede/r FachlehrerIn bietet pro Tag eine Video-Sprechstunde an in die Kinder sich freiwillig einwählen können um Fragen zu stellen und Sachen erklärt zu bekommen
Fach-Chat: die FachlehrerInnen könnten je Klasse und Fach einen Chat-Channel aufsetzen, und dort Beratung zu anstehenden Aufgaben anbieten usw. (alternativ auch in Slack & Co s.u. möglich)
Digitale Referate: Kinder bereiten kleine Unterrichts-Einheiten vor (eher so 10 Minuten) und streamen diese per Video für Ihre MitschülerInnen
Digitale Materialien aus dem Netz nutzen: jede/r sitzt ja jetzt zuhause an einem vernetzten Computer mit allen Möglichkeiten. Also sollte das Füllhorn der anderen Quellen im Netz genutzt werden. Wer findet für dieses Mathe-Problem die tollste Erklärung auf Youtube? Vielleicht auch auf englisch, dann deckt man das gleich noch mit ab
Digitale Materialien erzeugen: SchülerInnen anleiten selbst Dinge zu erzeugen, ein Fach-Wiki, einen PodCast oder einfach eine informative Seite dazu, wie Desinfektion gegen Viren wirkt
Soziale Nähe digital herstellen: Home-Schooling ist psychosozial eine extreme Herausforderung, auch für die Kinder. Digitale Möglichkeiten können helfen soziale Nähe und Verbundenheit herzustellen, die sonst im Pausenhof entsteht. Machen Sie sich Gedanken über einen digitalen Pausenhof. Warum nicht alle in ein Schul-Minecraft einladen, die Schule nachbauen und jeder lässt seiner Kreativität nebenbei freien Lauf? Wie wäre es mit einem Klassen-Podcast? Der einst verhasste Klasssen-Chat wird jetzt plötzlich zum Backbone des Zusammehalts, gestalten sie es mit Ihren Schülerinnen. Bei uns in der Firma gibt es einen Video-Chat, der permanent offen ist und “Küche” heisst…
Digitale Experimente und Lehrinhalte: machen Sie die Herausforderung zur Chance. Klassen-Projekt zu Wikipedia, Ziel: gemeinsamen Artikel zu einem Thema kollaborativ erstellen, recherchieren, feinschleifen und dann die große Frage: schaffen wir es ihn in der “echten” Wikipedia zu veröffentlichen? Warum ist das eigentlich so schwierig und was kann man daraus lernen? Wie haben Lexika früher Qualität hergestellt und was kann man daraus wieder lernen? (–> Politik)
Oh oh, Datenschutz!! Ja, der Datenschutz wurde – insbs. seit DSGVO – oft herangeführt um Innovationen zu bremsen in der Vergangenheit. Nicht immer zu unrecht, es ist natürlich wichtig dass Daten der Kinder nicht in falsche Hände gelangen und dass LehrerInnen keine Urheberrechtsverletzungen angehängt bekommen. Aber dahinter kann man sich jetzt nicht mehr verstecken, denn das geht alles. Man kann datenschutzkonform moderne digitale Tools nutzen! Und noch ein kleiner Verlags-Rant: fast jede LehrerInnen-Mail ist mit einem Hinweis versehen, dass man das Material nicht teilen dürfe über die Klasse hinaus etc. – natürlich ein riesen Versäumnis, dass man nicht früher auf OER-Materialien gesetzt hat (bei Verlagen und Schulen). Was jetzt von Schulbuchverlagen gemacht werden könnte und was ich erwarte ist: ein Moratorium für Urheberrechts-Ansprüche bis Ende des Jahres. Alles kann geteilt werden ohne dass LehrerInnen und SchülerInnen Angst haben müssen Post vom Anwalt zu bekommen. Ich fände ein Statement der Verlage dazu mutig aber auch angemessen, tragt Euren Teil bei!
Alternatives Lernen: bitte nutzen sie die Zeit auch rauszufinden, welche Möglichkeiten des alternativen Lernens und Lehrens es geben könnte: welche Vorgaben zu Lernzeiten, überhaupt Uhrzeiten sind sinnvoll, welche nicht (laden sie die Kids doch ein, dazu was in einem Blogpost zu schreiben). Sagen Sie den Kids, dass sie 20% Ihrer Zeit für andere Projekte (mit Schulbezug) nutzen, und darüber berichten sollen. Setzen Sie mit den Kids Projekte auf, und lassen sie sie frei darin arbeiten, wie ein Forschungsteam. Denken sie über Möglichkeiten der Arbeitsvernetzung mit anderen Schulen in der ganzen Welt nach usw. Eine sehr schöne Inspirations-Quelle zum alternativen Lehren/Lernen in digitalen Zeiten sind die Beiträge von Dejan Mihajlovic aus Freiburg.
Die Liste könnte man noch beliebig weiterführen. Aber sie soll auch nicht erschlagen, denn es gibt eine wunderbare Sache, die man vom digitalen Arbeiten lernen kann: einfach loslegen! Kleine erste Versuche machen, verbessern, neu aufsetzen. Kleine Erweiterungen einfügen, ausprobieren, reflektieren. Manches wieder abschalten, anderes erweitern. Schämen Sie sich nicht, wenn ihnen das unsystematisch und komisch vorkommt. Das geht den Managern von Bayer genauso, wenn sie plötzlich mit digitalen Arbeitstechniken konfrontiert werden. Aber meistens springt schnell der Funke über und man versteht den Vorteil, ja den Spaß den diese Technik machen kann.
Vor allem aber sind solche Techniken hervorragend für Krisenzeiten geeignet. Und wir haben nicht nur eine Corona-Krise, sondern halt auch eine “digitale Schule Krise”. Wie toll wäre es, wenn wir das nicht als Versäumnis, sondern als Chance begreifen würden?
Und zuletzt noch – wie loslegen? Nicht einfach, ist klar. Aber es gibt auch eine riesige digitale Hilfs-Welle, die sich aktuell formiert. Die Leute von Chaos macht Schule z.B. arbeiten an Konzepten und Unterstützungsangeboten. Digitale Angebote wie z.B. Calliope mini haben sofort umgeschaltet auf Corona-Modus und bieten neue Inhalte an, die aktuell besonders gut funktionieren. In Ihrer Elternschaft befinden sich mit Sicherheit ein paar Menschen, die sich gut mit digitalen Möglichkeiten auskennen. Ich denke, es werden sich schon in Kürze (in wenigen Tagen) konkretere Angebote formieren. Ich werde diesen Artikel hier auch immer wieder aktualisieren, wenn etwas diesbezüglich zu berichten gibt. Bis dahin: machen Sie sich Gedanken und probieren Sie mit den Kindern vielleicht einfach mal eine Video-Session zu Beginn des Tages aus. Oder machen Sie mal eine Mathe-Stunde per Skype. Oder stellen Sie mal eine Unterrichtseinheit per Youtube zur Verfügung. Oder nehmen Sie mit einem Kollegen/einer Kollegin einen kleinen Podcast auf, vielleicht wird ja eine Reihe daraus. Nur mit Email-Attachments kommen wir jedenfalls nicht durch die Krise, so viel sollte klar sein.
We are all in this together.
Ach, eines noch: Es kursiert im Netz ein angeblicher Brief des französischen Bildungsministers an die SchülerInnen. Es ist schwer zu sagen, ob dieser authentisch ist, aber es ist auch egal. Denn in diesem Brief steckt eine wichtige Erkenntnis, die ich auch von unseren Kindern bestätigen kann: Nein, es sind keine Ferien – für niemanden fühlt sich der Corona-Shutdown so an. Die Grosseltern der Kinder leben seit Wochen in Abschottung, Papa macht keine Geschäftsreisen mehr, und auch die Kinder spüren diese seltsame Stimmung aus Angespanntheit und Ruhe in der Luft. Und natürlich Angst – dafür muss man nicht Militär-Laster zum Leichentransport im Fernsehen sehen – aber viele Kinder bekommen das vermutlich auch mit. Es ist also auch aus diesem Grund keine normale Schulsituation. Ich sage das deshalb, weil eine Lehrerin heute schrieb “das Wichtigste was Ihr aktuell zu sein habt ist: SchülerInnen. Macht Eure Aufgaben, haltet die Zeiten ein”. Ich finde das emotional hilflos und unemphatisch. Alle sind in einer Krise, und für viele fühlt die sich existentiell und sehr bedrohlich an. Wenn die Todeszahlen in den nächsten Tagen ansteigen werden, wird sich dieser Eindruck noch verstärken. Noch ein Grund jetzt nicht mit aller Macht den Standard-Unterricht per PDF-Download und Motivations-Ansagen per mail durchzusetzen. Wir brauchen jetzt intelligentere, digitalere aber auch emotional der Situation angemessenere Angebote.
Und vielleicht noch als Vision: digitale Bildung kann so wundervoll sein. Meine Inspiration dazu kommt z.B. von den Erfahrungen mit den ersten Online-Kursen, die die Stanford-Universität vor ein paar Jahren ins Netz gestellt hat. Sie hat damit nicht nur völlig neue Wege beschritten Inhalte zu vermitteln – sondern auch den Zugang zu hochwertiger Bildung von Barrieren befreit, und Menschen weltweit zur Verfügung gestellt. Wer einmal ein Problem plötzlich verstanden hat, weil er eines dieser zahllosen Tuturials auf Youtube dazu gefunden hatte, versteht vielleicht was ich meine. Das Digitale kann die Bildung besser machen, zugänglicher, vielfältiger, intelligenter und besser auf die Erfordernisse der Kids zugeschnitten. Da sollten wir hin.
Ein paar erste Ideen/Links:
Podcasten:
Zencastr ist ein gutes Tool, um Podcasts aufzunehmen
Zoom erweist sich im Arbeits-Alltag gerade als sehr gutes Video-Tool. Zum ersten Ausprobieren sicher gut geeignet, man kann ja später auf eine Open-Source Variante wechseln. In der Basis-Version bis zu 100 TN und 40min pro Session kostenlos. (hat aber leider keine gute Datenschutz-Reputation aktuell)
https://meet.jit.si/ ist eine tolle nicht kommerzielle Variante, die schon von einigen Schulen genutzt wird
Document-Sharing:
https://www.ucloud4schools.com/ Ucloud von der kommunalen Regio-IT ist im Schulbetrieb erprobt und setzt auf Open-Source Komponenten
In vielen Firmen weltweit wird slack genutzt um in Teams zu kommunizieren. Man kann Channels anlegen zu einzelnen Themen (Fächern), Dokumente austauschen usw. – ist kostenlos nutzbar bis zu einer bestimmten Grenze und ein unabhängiges Unternehmen – mattermost ist eine open-source Variante zu slack, Microsoft Teams eine kommerzielle, die oft genutzt wird.
NextCloud ist eine Open-Source File-Sharing Plattform, die zB. von Chaos macht Schule eingesetzt wird. Muss allerdings lokal installiert werden.
Etherpads sind gemeinsam zu bearbeitende Online-Dokumente. Bei diesem Service hier kann man es ausprobieren. Dauerhaft sollte man das eher von seinem Dienstleister für die Schule installieren lassen.
Ich fahre seit neuestem ein E-Bike – das Stout von Ampler, einer kleinen Schmiede aus Estland. Ein wirklich tolles Fahrrad, auch ohne den Motor. Aber es hat ja einen, nur sieht und hört man den nicht (ist in der hinteren Nabe verbaut). Auch den Akku sieht man nicht (ist im Rahmen verbaut). Es hat auch keine fancy Bedien-Elemente oder Displays. Ein einziger Schalter am Rahmen deutet darauf hin, dass irgendwas anders ist an dem Rad, alles weitere wird in der App geschaltet. Und dann fährt es sich einfach so, wie es sich für Kinder reicher Eltern anfühlen muss durchs Leben zu gehen/schweben: immer leichter Rückenwind. Man kann drei Stufen einstellen – ja nachdem wie sehr man sich selbst betätigen möchte. In der stärksten Unterstützungs-Stufe hat es wirklich in manchen Situationen etwas von einem fliegenden Teppich. Ist natürlich für einen alternden unsportlichen Menschen wie mich toll, plötzlich an der Ampel wieder davonziehen zu können wie einst mit 16. Aber es gibt auch einen tieferen Grund, warum ich das angeschafft habe, und inzwischen erste Erfahrungen dazu, die will ich hier eigentlich kurz beschreiben – denn natürlich ist man sofort diversen Shaming-Attacken ausgesetzt, wenn Leute das sehen – grob aus zwei Richtungen, die eine ist die “Seniorenbike” Ecke, die andere die “das hat eine Batterie dafür müssen Kinder sterben” Ecke.
Für mich hat es einen ganz banalen Grund, warum ich das anschaffen wollte. Ich wollte häufiger mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren können. Mein Arbeitsweg ist ungefähr 7km lang und ich fahre auch so oft mit dem Fahrrad. Aber immer wieder auch nicht, und da gibt es ebenfalls zwei grössere Begründungs-Cluster. Der eine besteht darin, dass ich zu Arbeitsterminen nicht verschwitzt kommen will. Die Gefahr besteht vor allem dann, wenn man einen frühen Termin im Büro hat (oder in der Stadt) und durch das übliche Kinder-Gewimmel am morgen spät dran ist – und vielleicht auch noch schlecht geschlafen hat. Wenn ich dann zum Termin hetzen muss und es vielleicht noch bisschen warm ist oder falsch gekleidet komme ich verschwitzt an. Das hasse ich. Also fahre ich in solchen Fällen mit dem Auto. So eine Konstellation habe ich etwa einmal pro Woche. Der zweite Block sind Fälle, wo es einfach zu mühsam/nervig ist, mit dem Fahrrad zu fahren. Weil es kalt ist und/oder nieselt. Weil man müde ist und keinen Bock auf die Plackerei hat usw. usf.. Auch das kommt vermutlich mindestens auch einmal pro Woche vor (gilt übrigens auch für Rückweg, also wenn man einen schweren Arbeitstag vor sich hat etc.).
In beiden Fällen ist das E-Bike super und hat sich schon voll bewährt. Wenns morgens stressig ist, und ich unverschwitzt den Termin erreichen will, schalte ich einfach maximale Unterstützung ein und komme entspannt und pünktlich an. Übrigens – auch das ist oft ein Gegenargument – durchaus trotzdem mit guter körperlicher Betätigung, ich würde sogar sagen für Herz-Kreislauf Perspektive optimal. Wenn es regnet, ziehe ich das Regencape über, das bei normalem Fahrrad wegen erhöhtem Wind-Widerstand meistens ein grauenhaftes Fahr-Erlebnis beschert. Und segle damit durch den prasselnden Regen (ok, muss noch Waden/Fuss-Schoner anschaffen). Wenn es kalt und fies ist, ziehe ich mich einfach kuschelig warm an und fahre trotzdem.
Natürlich gibt es auch noch zig andere Situationen, wo das leichtere Fahren die Entscheidung begünstigt das Fahrrad zu nehmen. Also z.B. Fahren mit Kinder-Anhänger. Kurz ins Büro fahren um was zu holen. Fahren und dabei telefonieren ohne abgehetzt zu wirken, usw.
Und es sollte nicht verschwiegen werden, dass es einfach auch mehr Spass macht. Es fühlt sich einfach an, als führe man ein gnadenlos gut fahrendes Fahrrad und hätte eben immer leichten Rückenwind. Wer könnte das nicht wollen?
Geil am Ampler (bekomme nix für den Post, keine Sorge) ist auch noch, dass es gut aussieht und unfassbar leicht ist (17kg). Es ist defacto leichter als meine bisherige Gazelle, was nochmal Anwendungsfelder erschliesst.
Wichtig zu erwähnen ist überdies, dass es mich praktisch nichts gekostet hat auf dieses Fahrrad umzusteigen. Mein toller Arbeitgeber bietet nämlich Jobrad an, d.h. das Rad kann wie ein Dienstwagen über den Arbeitgeber geleased werden. Wird dann über Gehaltsumwandlung aus dem Brutto + Dienstwagenprivileg und Arbeitgeberzuschuss finanziert. Wir sind ja ein Startup, geht also sogar da (ok, war nicht ganz einfach). Aber jeder gute Arbeitgeber sollte das anbieten können.
Generell glaube ich, dass E-Bikes ein spannender Baustein für eine neue Mobilität sein können. Ein Fahrrad ist ein sehr freundliches Verkehrsmittel, man kann damit im Grünen fahren (Achtung, nicht mit Pedelecs die bis 45km/h gehen), es nimmt wenig Platz weg, hat keine Emissionen und der kleine 300Wh Akku kann problemlos mit Sonnenstrom aufgeladen werden. Übrigens macht die E-Motor Unterstützung natürlich auch Lastenfahrräder und Co zu viel brauchbareren Alternativen, das habe ich noch gar nicht oben berücksichtigt. Was ich an der Kombi auch gut finde ist, dass man sich trotzdem sportlich betätigt (anders als bei E-Scootern/Rollern etc.) und alle Wege nutzen kann, die Fahrrädern vorbehalten sind.
Ach und für alle Fahrrad-Laden Hasser (zähle mich auch dazu). Das Stout bestellt man im Internet und es wird per Spedition gebracht. Kommt so an:
Was ich genial fand dabei: das einzige, was ich tun musste um es in Betrieb zu nehmen ist Pedale einschrauben, Lenker ausrichten und festschrauben, Sattel einstellen. Alles andere war perfekt vormontiert und eingestellt. Hat weniger als 15 Minuten gedauert das in Betrieb zu nehmen.
Ein Vergleichs-/Testvideo hat mir besonders bei meiner Entscheidung geholfen, insbs. da das Ampler häufig mit dem VanMoof verglichen wird.
Ich beschäftige mich mit der Digitalisierung, seit ich angefangen habe zu arbeiten – oder kurz davor. Einfach weil das Internet für mich ehrlicherweise von Anfang an ein Suchtmedium war. Ich fühlte mich unglaublich von vernetzten Computern angezogen, und als das erste mal der Administrator des link-mailbox-systems mich per chat ansprach vor vielen Jahren, war das für mich wie eine Erscheinung, mega aufregend. Bin gleich zu meiner Frau gerannt und hab ihr davon erzählt, als sei gerade beim Rewe Madonna neben mir an der Kasse gestanden (mir ist klar, dass ich jetzt alle jüngeren LeserInnen verloren habe).
Und zunehmend stelle ich mir die Frage – woher kommt diese Anziehungskraft eigentlich? In den letzten Jahren kommt dann noch eine zweite Frage hinzu – denn inzwischen zeichnet sich ab, dass die Digitalisierung nicht nur uns Nerds einsaugen wird, sondern alles andere auch. Für mich ist das wirklich eine überraschende Entwicklung, die ich noch vor 10 Jahren nicht für möglich gehalten hätte – dass man plötzlich mit einem Aussteller der Eisenwaren-Messe darüber spricht, wie er zur nächsten Ausgabe der Messe ein Cyber-connected Device rausbringen könnte. Inzwischen kann man klar sagen, dass die Digitalisierung alles erfassen wird, alle möglichen Industrie-Bereiche (auch solche wo man es nicht für möglich gehalten hätte), unser normales Leben (Freundschaften, Tod, Sex usw.) und zunehmend auch alle möglichen Aspekte unserer Gesellschaft, insbs. auch wie Politik funktioniert und gesteuert werden kann*.
Deshalb möchte ich mich in einer offenen Serie von Blogposts damit beschäftigen, wie die Digitalisierung funktioniert – welche Muster man erkennen kann und was daraus ggf. abgeleitet werden sollte. Ich werde dafür eine schlampige Sammlung von Quellen nutzen, meine berufliche Erfahrung, meine Erfahrung als “Netzbürger”, einen Vortrag von @mspro, den ich sehr inspirierend finde, Bücher von Jean Baudrillard und Felix Stalder sowie den gerade herausgekommenen Sammelband zur Digitalisierung der psychoanalytischen Zeitschrift “Psyche”. Ausserdem das aktuelle Buch von Thomas Ramge und Viktor Mayer-Schönberger zum Daten-Kapitalismus. Die Liste der Bücher ist aus zwei Gründen etwas kurz. Einige andere habe ich dazu gelesen, vor allem englisch/amerikanische, die mir irrelevant erscheinen oder auf jeden Fall zu laberig. Aber vielleicht kommen die auch noch rein, daher ja offene Blogpost-Reihe. Baudrillard ist für mich ein Statthalter für frühere Theoretiker die ich sehr schätze, die schon vor dem Internet über bestimmte Dinge nachgedacht haben. Damit will ich der Frage nachgehen, ob es überhaupt tatsächlich das Internet ist, das diese Phänomene konstituiert und nicht schon eine frühere Entwicklung, die sich nur im Internet jetzt einen perfekten Ort gesucht hat (Baudrillard sprach in “der symbolische Tausch und der Tod” schon sehr früh von der Konversion der Wirklichkeit und unseres Lebens in die der Symbolik, das Simulakrum). Das mit der Psyche ist auch eine bestimmte Funktion. Bin ja selbst Psychologe und mit einer psychonanalytisch arbeitenden Psychotherapeutin verheiratet (die Zeitschrift ist ihr Abo). Diese Sog-Wirkung von der ich oben sprach muss auch so analysiert werden, denn sie ist in hohem Maße psychisch. Irgendwas in unserer Seele wird getriggert durch das Internet, etwas sehr tiefes. Die Psychoanalyse könnte eine spannende Quelle sein um evtl. zu Antworten zu kommen, was das sein könnte. Dabei geht es übrigens auch viel um Symbolisierung, Übergangs- und Ersatz-Objekte. Wir werden sehen.
Generell hat es nicht so sehr den akademischen Vollständigkeits-Anspruch. Eher eine Art Reflexion.
Was kreiert diesen unglaublichen Sog?
Nun aber zu dem Theoriemodell, an dem ich mich abarbeiten möchte, und das gewissermassen der Ausgangspunkt sein soll, um den diese Blog-Serie sich drehen wird. Ich habe mich mit der Frage wie die Digitalisierung funktioniert auch beruflich immer wieder auseinandergesetzt – weil ich als Speaker auf Events und Podien dazu eingeladen wurde (hier ein aktueller Vortrag dazu auf einer Business-Konferenz, ab 1:38), aber auch schlicht weil ich Unternehmer bin und einen besseren Job machen kann, wenn ich verstehe wie das Feld im innern funktioniert, in dem ich meine Firmen gründe. Ein zentrales Bild habe ich über die letzten Monate entwickelt, das momentan verwendet wird (hier auf meinem Firmen-Blog ein Post dazu mit stärkerem Business Fokus**), ist das hier:
In diesem Bild soll gezeigt werden, wie die Digitalisierung generell funktioniert. Und zwar in drei einfachen Schritten. Zunächst werden alltägliche Dinge mit dem Netz verbunden (1) indem z.B. Sensoren drangehängt werden oder indem anderweitig Status-Informationen eines Dings oder einer Maschine oder eines Menschen “hochgeladen” werden. Dabei entstehen erstmal Logfiles und Daten-Artefakte. Aber zunehmend – wenn diese Logfiles immer reicher und dichter werden (z.B. weil weitere Sensoren hinzugefügt werden oder weil KI Modelle Anwendung finden etc.) entstehen in der neu etablierten digitalen Sphäre sogenannte digital twins oder digital shadows (2a). Ein Konzept das in der Industrie schon seit längerem intensiv diskutiert und erprobt wird, aber eben auch ein generisches Phänomen. Es entsteht ein digitales Abbild, und in vielen Fällen ist dieses Abbild sogar informationsreicher oder relevanter als das eigentliche Objekt wenn ich davorstehe (z.B. weil der digital shadow eines Autos bestimmte Sensor-Daten aus dem Motor enthält oder Daten aus der Fertigung hinzuziehen kann, die ich selbst nicht kenne). An sich ist das noch nicht so spannend, könnte man noch für ein Nerd-Phänomen halten. Aber es passieren in der Folge noch zwei weitere Dinge, die das Spiel komplett umdrehen zugunsten der digitalen sphäre, und es plötzlich ultra-relevant machen. Zum einen entstehen plötzlich Pfeile “von oben nach unten” (2b), d.h. Änderungen in der digitalen Sphäre fangen an die realen Objekte zu beeinflussen. Der Stuxnet Angriff auf die iranischen Uran-Zentrifugen war z.B. so ein Pfeil – da wurden einfach Drehzahl-Parameter in der digitalen Steuerung (dem Scada-Controller) so verändert, dass die Maschinen “dachten”, sie könnten mit höherer Drehzahl arbeiten. Dann sind sie aber kaputt gegangen. Aber es passiert noch etwas das absolut faszinierend ist: zwischen den Objekten in der digitalen Sphäre bilden sich plötzlich Pfeile heraus, d.h. es werden Beziehungen etabliert die ausschliesslich in der digitalen Sphäre stattfinden (3). In der Industrie wird z.B. aktuell sehr heiß “machine as a service” diskutiert, also dass eine Maschine nicht mehr verkauft, sondern einfach nach gemessenen Nutzungsvorgängen automatisch abgerechnet wird. Das bedeutet, dass ein IoT Sensor an der Maschine misst, wie oft diese z.B. ein Bauteil gestanzt hat. Dieses Messdatum wird z.b. über 5G Uplink an eine Cloud übertragen. Dort landet das Datum in einem ERP-System und generiert eine Rechnung. Der gesamte Geschäftsprozess rund um die Maschine verschiebt sich dann in den digitalen Layer. Der alte Prozess im realen Layer hingegen wird zurückgefahren und irgendwann komplett eingestellt. Ist übrigens ein Phänomen, das sehr rationale Gründe hat – vor allem liegen diese in den drastisch niedrigeren Transaktions-Kosten in der digitalen Sphäre. Es ist einfach spottbillig eine Maschine messen zu lassen, wie oft ein Greifarm bewegt wird – es kostet praktisch nichts. Auch nicht das Datum zu übertragen, zu verrechnen und eine elektronische Rechnung auszustellen. In der realen Welt wäre so ein Prozess unbezahlbar gewesen. Das erklärt aber auch den Sog, zumindest einen Teil davon. Es ist ein simpler ökonomischer Mechanismus. Ich persönlich glaube allerdings, dass noch ein paar andere Prozesse eine Rolle spielen, die weniger ökonomisch sind und die sich mit dem ökonomischen Sog verbinden zu einem perfekten Wirbelsturm. Aber dazu später.
Was mir an dem Theoriemodell gefällt ist dass es sich wirklich gut eignet eine ganze Reihe von Phänomenen zu erklären und einzuordnen. Auch das soll später immer mal wieder geschehen, man kann z.B. die Pleite von Thomas Cook vs. das gute Abschneiden des Konkurrenten TUI sehr schön damit erklären. Aber ich werde auch immer mal wieder aus meinem Arbeitsalltag berichten, welche Phänomene gut dazu passen und wo man evtl. Anpassungen vornehmen müsste. Ausserdem werde ich mir hier und da auch erlauben ein paar launische Alltagsbeobachtungen darauf zu mappen, z.B. die mich rasend machende Gier der Menschen Konzerte mit Ihrem Smartphones aufzuzeichnen. Zunehmend auch in klassischen Konzerten. Und natürlich möchte ich mich – soviel es die Zeit eben zulässt – immer mal wieder mit aktuellen Theorie-Beiträgen dazu auseinandersetzen, und versuchen diese in Beziehung zu setzen. So z.B. den Vortrag von Michael Seeman zum digitalen Kapitalismus, den ich oben schon nannte. Denn die Phänomene, die er beschreibt passen hervorragend zum obigen Bild – durch die Verschiebung unseres Lebens in den digitalen Layer werden bestimmte Dinge provoziert, Eigentum wird unwichtiger (und eher durch Daten, Algorithmen und Verwertungs/Zugriffsrechte definiert), anstelle des “normalen” Marktes entsteht eine Art Hyper-Markt (dynamic pricing, Daten ersetzen Geld) und generell übernehmen die intangibles, also die symbolischen Ableitungen der realen Dinge (und deren Ableitungen) die Herrschaft was ganz neue Dynamiken erlaubt. Ich habe mich ja schon früher sogar hier im Blog dazu ausgelassen, wie es möglich sein kann wichtige Dinge aus dem realen Layer rüberzuretten in den digitalen, z.B. Solidarität. Auch das würde ich gerne weiterführen. Ach, und um noch ein bisschen trashig zu enden – ich möchte sogar Denkübungen aus dem Verband mit einbeziehen, für den ich im Präsidium bin. Da werden nämlich manchmal ungewöhnlich gute Papiere veröffentlicht – eines davon traut sich z.B. die bescheuerte Idee des “Daten-Eigentums” frontal anzugehen. Insgesamt ein spannendes Phänomen, denn ich halte das für einen Verteidigungskampf der realen gegen die digitale Sphäre. In dieser ist das Konzept des Daten-Eigentums eine absurde Idee, etwas das dem ganzen System zuwiederläuft. Worin ein spannender Gedanke liegen könnte…
*auch das sollte in einem zukünftigen Post mal behandelt werden. Ich könnte jetzt sagen, dass ich schon 2012 in einem Artikel in der FAZ gewissermassen Cambridge Analytica vorausgesehen habe usw. – aber eigentlich ist es eher so, dass ich das Aufkommen einer neuen Gänseblümchen-Art gemutmaßt hatte, und dann kam eine Dampfwalze. Egal, wie Digitalisierung Politik verändert, bzw. warum die repräsentative Demokratie gerade so sehr unter Druck ist (sie ist ja eine Art Vorläufer dieser Abbildungs-Idee) sollte man sich auch mal anschauen…
**ich möchte diese Verbindung von “privat” und “beruflich” hier ganz bewusst unscharf lassen (daher das logo nicht entfernt). Denn es ist tatsächlich diese Mischung aus Arbeitskontext und privatem Nachdenken, die ich für ein Feature in meiner Position halte. Es gibt bessere und belesenere TheoretikerInnen, ohne Zweifel. Ich versuche meine Stärke darin zu finden auf eine leicht schmutzige Weise berufliche Erkenntnisse aus vielen Kundengesprächen, Fachkonferenzen und Digitalisierungs-Projekten mit theoretischen Überlegungen und Sachen die ich auf der re:publica oder anderswo höre zu vermischen.
Ein zentrales Argument gegen die Freitags-Demonstrationen der Fridays4Future Bewegung ist ja, dass die Schulpflicht das höhere Gut sei, und zu befolgen wäre. Zunehmend beginnen Schulen auch härter durchzugreifen, erste Strafen werden verhängt. Die NRW Schulministerin folgt der Linie ihres Parteivorsitzenden und wirkt auf Einhaltung der Schulpflicht und Bestrafungen der SchülerInnen hin. Wie beschämend. Was könnte man tolles draus machen als Schule, wenn Schülerinnen sich plötzlich für Politik und komplexe wissenschaftliche Zusammenhänge interessieren…
Aber nun gut, in diesem Post soll es um einen anderen Aspekt gehen, den Philipp Banse und Ulf Buermeyer in der Lage der Nation vor einigen Tagen aufgebracht haben – nämlich die Frage, ob die Schulgesetze der Länder tatsächlich höher stehen als das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Ulf Buermeyer (seines Zeichens Richter am Berliner Landgericht) wies in der Sendung darauf hin, dass z.B. in NRW das Schulgesetz zwar einen Katalog von Einschränkungen der Grundrechte aufzählt, die Versammlungsfreiheit dabei allerdings nicht auftauchen würde. Er hält es daher für sehr spannend abschliessend zu beurteilen, ob es wirklich durchsetzbar wäre, SchülerInnen für die Teilnahme an den freitäglichen Protesten zu belangen.
Ich will es mir daher hier schlicht kurz zur Aufgabe machen, für alle 16 Bundesländer aufzulisten, ob in deren Schulgesetz eine Einschränkung des Demonstrationsrechts vorgesehen ist, oder nicht: