Brüderle, so nah
Als ich in den letzten Tagen wie viele aufmerksam die #aufschrei Debatte verfolgte, gab es diesen besonderen Moment, als ich kurz mal in mich reinhörte um etwas zu überprüfen. Der Auslöser war der Kommentar eines Journalisten, der meinte, der eigentliche Skandal bestünde darin, dass keiner der Journalisten-Kollegen an dieser Bar etwas gesagt hätte… Also, eine eigentlich unnötige Überprüfung, aber sie fand doch statt. Ausgehend vom Befund, dass dieses altväterliche Brüderle-Gehabe und überhaupt der Politik- und zugehörige Journalisten-Betrieb einem ja ganz und gar fern und fremd sei. Gestützt durch die Tatsache, dass ich ja in einer viel jüngeren und gänzlich offenen Branche arbeite, die so unmittelbar mit dem guten Internet verwoben ist. Daran denkend, was für zahlreiche innovative Dinge wir in der Firma auch noch tun und ausprobieren, Barcamps, offene Feedback-Formate, Familienfreundlichkeit, Eindampfen und Infragestellen von Hierarchien jeglicher Art usw.
Also eingewoben in all diese schützenden Gedanken stellte ich mir kurz die Frage, ob ich selbst schon mal Zeuge gewesen war von so einer Brüderle-Situation, also einem unangemessenen Übergriff auf eine Frau, egal welcher Art. Nur so theoretisch. Und fast hätte ich mich innerlich weggedreht mit nee, nee da ratterten die Szenen vor meinem Auge durch. Zahllose Fälle wo Kolleginnen unangemessen angemacht, angefasst, angestarrt und bedrängt wurden. Wirklich ohne Ende, im In- und Ausland, von Kollegen und Kunden, alle Variationen. Angefangen vom Hausmeister, der aus der Tür kommt und die Kollegin anfassen muss um an Ihr vorbeizukommen über eine andere Kollegin, die von einer Gruppe Kunden bedrängt wurde, bis hin zu völlig unangemessenen, herabwürdigenden und offen sexistischen Kommentaren eines Kollegen nebenbei in einer Team-Situation. Und sogar inkl. einer Kundenveranstaltung, auf der selbst meine Frau vom Geschäftsführer eines Kunden so angemacht wurde, dass sie sich in eine andere Ecke des Raumes geflüchtet hatte. Und endlos war die Liste selbst dann, wenn ich alle Fälle ausklammerte, wo Kolleginnen ein Verhältnis angedichtet wurde, sie übergangen wurden oder andere eher machtgetriebene Respektlosigkeiten am Start waren.
Und ich immer dabei, schweigend, nichts tuend. Unangenehm berührt, angeekelt, ja. Aber – und das obwohl ich das meiste in einer komfortablen Rolle als Chef erlebt habe – in keiner einzigen Situation einschreitend oder auch nur klar Stellung beziehend. Manchmal einen flapsigen, um Verbrüderung bemühten Kommentar, meist jedoch: Schweigen. Drüber hinwegsehen. Kein Aufhebens drum machen. Ich schäme mich wirklich dafür. Und ich bin überwältigt davon, welches leicht sichtbare Ausmaß es hat und wie bleiern das Schweigen, Ignorieren und Wegschauen drüber liegt. Das muss Aufhören. Und natürlich muss ich mir die Frage stellen, warum eigentlich? Es sind durchaus substantielle Werte, für die ich zu stehen meinte, die ich damit verletzt habe. Klar gibt es diesen Scham-Mechanismus, der übrigens bei allen sexistischen Übergriffen sofort greift und den die Täter sich immer und immer wieder zunutze machen. Ein bisschen frage ich mich allerdings auch, ob es ok ist sich – als Mann – auf diesen Mechanismus rauszureden. Und ob nicht doch sogar eine geheime Verklebung mit dem ganzen – kaschiert durch die Scham-Nummer – irgendwo mitwirkt. Wie ekelhaft. Ratlos.